Das aussagekräftige Porträt von einem guten Freund: Der Basler Hermann Scherer malte in seinen letzten Lebensjahren dieses Bildnis seines Berufskollegen Werner Neuhaus; die beiden waren künstlerisch wie freundschaftlich miteinander verbunden. Der gebürtige Süddeutsche Scherer (1893–1927) war einer der Mitbegründer der expressionistisch gesinnten Gruppe «Rot-Blau», die sich dem Vorbild der deutschen «Brücke» verschrieben hatte. Neuhaus schloss sich kurze Zeit später Scherers Vereinigung an.
Dieses Porträt ist in der neuen Ausstellung «Back to Paradise» des Aargauer Kunsthauses zu sehen. Sie versammelt hochkarätige Gemälde, Zeichnungen und Grafiken von Künstlern wie den Deutschen Max Pechstein, Karl Schmidt-Rotluff und Ludwig Kirchner, als dessen Schüler sich Scherer verstand, auch wenn sich die beiden in späteren Jahren entfremdeten.
Hin zu subjektiven Empfindungen
Der Expressionismus veränderte in der ersten Hälfe des letzten Jahrhunderts das europäische Kunstverständnis: «Die künstlerischen Neuerungen beziehen sich nicht nur auf formale Aspekte, sondern konzentrieren sich auch stark auf den individuellen Ausdruck, auf die Wiedergabe der subjektiven Empfindungen ihrer Schöpfer», wie es im Ausstellungtext heisst. Dies belegt Scherers Porträt seines Freundes Werner Neuhaus exemplarisch. Der Künstler baut seine Beziehung zum Porträtierten virtuos mit ein. Man spürt den Respekt und die Anerkennung, die er ihm entgegenbringt. Aber mit der Tabakpfeife, die Neuhaus wie eine stumpfe Waffe trägt, ist auch eine gewisse Distanz spürbar– das ist keine Kumpanei, keine unkontrollierte Zuneigung.
Abkehr vom Naturalismus und der Bürgerlichkeit
Akribische Ähnlichkeit oder realistische Proportionen sind dem Künstler Scherer einerlei, einzig der Ausdruck zählt – und dieser zeigt eine gesetztere Persönlichkeit. Neuhaus wirkt deutlich älter als die 27 Jahre, die er beim Modellstehen war. Beide Künstler, der Porträtist und der Porträtierte, verstarben sehr jung; Scherer erkrankte, Neuhaus wurde im Sommer 1934 Opfer eines Verkehrsunfalls im Emmental.
Die Aargauer Ausstellung stellt den Expressionismus in einen gesellschaftlichen Zusammenhang: «Durch das Propagieren eines neuen Kunstverständnisses wurde dem Naturalismus und der Bürgerlichkeit der Kampf angesagt. Im Spannungsfeld zwischen Industrialisierung und sozialem Wandel suchten die Expressionisten nach neuen Lebensmodellen und wurden in der Harmonie mit der Natur, in der Auseinandersetzung mit fremden Künstlern fündig.»
Das frühe «Stillleben mit drei Orangen» aus den Jahren 1907/1908 des Solothurner Künstlers Cuno Amiet (1868–1961) illustriert dieses Kunstverständnis trefflich. Er setzt in diesem Ölgemälde einzig auf den Farbausdruck, dessen südliche Kraft den Betrachter gefangen nimmt. Hier geht es nicht um den fotografisch festgehaltenen Moment vor 110 Jahren, hier wird vielmehr mediterrane Lebenslust vermittelt, wie sie Menschen damals und heute empfinden. Das ist ein sinnlicher Gegenentwurf zu einer entseelten, möglicherweise harschen sozialen Realität jener Zeit, die dem Mitteleuropäer zu schaffen machte.
Cuno Amiet war seiner Zeit voraus
Amiet gilt heute als der führende expressionistische Schweizer Künstler. Seine Werke fanden so viel Anerkennung in Deutschland, dass ihn die Vereinigung «Die Brücke» einlud, Mitglied zu werden. Diese Avantgardisten entdeckten seine Werke in einer Galerie in Dresden, die für Amiet allerdings kaum Käufer fand. Denn er war wie die anderen Expressionisten seiner Zeit voraus; ein grosser Teil der Kunstwelt war damals noch vom 19. Jahrhundert geprägt und verstand die Spannungskraft dieser Werke zu wenig.
Wie nahe sich die expressionistischen Künstler waren, zeigt beispielsweise das Ölgemälde «Liegendes Mädchen» des deutschen Malers Max Pechstein im Vergleich zu Werken von Amiet und Scherer: Wiederum bestimmt die Beziehung zwischen Modell und Künstler den Ausdruck des Gemäldes. Das Kind, wahrscheinlich ein Teenager, ist mit seinem Gesicht dem Maler weit entrückt, als ob es der Erwachsenenwelt misstrauen würde.
Zahlreiche Werke aus privaten Sammlungen
Die Aargauer Ausstellung setzt sich zu einem grossen Teil aus Werken des Sammlerpaars Valerie und Othmar Häuptli zusammen, die während Jahren systematisch expressionistische Kunst erwarben und diese dem Haus schenkten. Dazu kommen Bestände aus der Expressionisten-Sammlung des Osthaus Museums in Hagen, am Rand des Ruhrgebiets. Auch diese gehen auf die Initiative eines engagierten privaten Sammlers zurück.
Back to Paradise – Meister- werke des Expressionismus
Sa, 26.8.–So, 3.12. Aargauer Kunsthaus Aarau
Gleichzeitig «Caravan» Ausstellungsreihe für junge Kunst: Arthur Fouray