Der Sand gewinnt immer. Kaum hatten die letzten Anwohner Kolmannskuppe Ende der 1920er verlassen, eroberte sich die Wüste Namib die Diamantenstadt zurück. Die Wanderdünen hoben Türen aus den Angeln und wogten in die Jugendstilräume. Heute ist Kolmannskuppe ein Touristenmagnet, den der Maler Paul Kiddo in zwei Gemälden festgehalten hat. Sie können als Metaphern seiner Heimat Namibia gelesen werden: Die Geister der deutschen Kolonialzeit sind noch nicht vertrieben, schon wirken neue äussere Kräfte auf das Land ein.
Kiddos Gemälde «Kolmanskop aus neuem Blickwinkel» ist eine von über 50 Arbeiten, die in der Ausstellung «Namibia – Kunst einer jungen Generation» im Forum Würth in Chur zu sehen ist. Die Schau vereint Künstlerinnen und Künstler, die seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 aktiv sind. Und die in ihren Arbeiten formell oder inhaltlich Geschichte, gesellschaftliche und politische Themen und das kulturelle Erbe des Landes aufgreifen.
Gegenentwurf zur kolonialen Maltradition
Paul Kiddo etwa bildet gerne Szenen des Dorflebens und spezifische Landschaften seiner Heimat ab. Seine Laienmalerei ist so etwas wie der Gegenentwurf zur kolonialen Maltradition: Die Künstler des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zeigten das damalige Deutsch-Südwestafrika gerne als vage Sehnsuchtslandschaft, in der kaum je die lokale Bevölkerung vorkam.
Ganz im Jetzt verankert ist auch die Malerei des gebürtigen Kongolesen Tity Kalala Tshilumba. Der lässt sich nicht nur von Landschaft und Tierwelt inspirieren, sondern immer wieder auch von sozialen und politischen Themen. Seine Bilder von Windparks oder Szenen in Tagebau-Minen zeigen Namibia als Spielball chinesischer Rohstoffkonzerne und westlicher Begehren nach grüner Energie. Sein Gemälde «Risse im Land» wiederum erzählt vom erheblichen Armutsgefälle: Moderne Appartementhäuser thronen über Blechhütten. Schier unüberwindbare Dünen trennen die zwei Welten.
Gleich eine Vielzahl von Wechselbeziehungen lässt sich aus Fillipus Sheehamas Wandobjekten lesen. Der Künstler verwebt Plastiksäcke und verknüpft Kronkorken oder Makalani-Nüsse. Mal prangern seine Werke den europäischen Müllexport nach Afrika an, mal erzählen sie von wirtschaftlicher Unabhängigkeit der Makalani-Bierbrauerinnen, mal vom grassierenden Alkoholismus.
Kartondrucke, Quilts und Schablonenbilder
Das spannende an «Namibia – Kunst einer jungen Generation» ist sicherlich die gezeigte formelle Vielfalt: Elia Shiwoohambas Kartondrucke und Linda Esbachs farbige Quilts, Barbara Böhlkes abstrakte Pigment-Landschaften und Nicky Marais’ Schablonenbilder, die wie ein Echo auf Namibias jahrtausendealte Höhlenmalerei erscheinen.
Dabei ist die Ausstellung aber auch eine Aufforderung, unseren Blick auf die Länder Afrikas zu schärfen. Sinnbildlich dafür steht die Fotografie von Margaret Courtney-Clarke. Seit den späten 2000ern fotografiert sie die Landbevölkerung, die immer öfter Dürreperioden, Umweltzerstörung und den Landansprüchen der Rohstoffindustrie ausgesetzt ist. Ihre Landschafts- und Porträtfotos sind poetisch und doch von subtiler Dringlichkeit: gleissend helle Gegenentwürfe zu Safariromantik. Momentaufnahmen jener Orte, an denen die Touristenbusse nur vorbeibrausen. Und eines Landes, das sich noch finden muss.
Namibia – Kunst einer jungen Generation
Bis So, 7.9.
Forum Würth Chur