Der Eiffelturm stand im Februar 1924 für einige Tage in Rio de Janeiro. Genau genommen war es eine 18 Meter hohe Replika des Pariser Wahrzeichens, gebaut von den Anwohnern des Viertels Madureira für den Karneval. Die Künstlerin Tarsila do Amaral (1886–1973) hielt diesen Moment auf «Carnival in Madureira» fest.
Das Gemälde wirkt skurril und ist zugleich symbolträchtig: Wie in einem Traum verschmelzen die zwei zentralen Länder in Amarals Karriere.
Beginn der künstlerischen Abnabelung von Portugal
Die Malerin ist eine der grossen Exponentinnen der brasilianischen Moderne. Als erstes Haus der Schweiz gewährt das Zentrum Paul Klee in Bern nun einen umfangreichen Einblick in die Kunstströmung. «Brasil! Brasil! Aufbruch in die Moderne» zeigt brasilianische Arbeiten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und erzählt von einer Zeit des Umbruchs.
Ab den 1920ern suchen Kunst, Design und Architektur nach einer neuen Identität. Die neue Kunst soll alles Akademische und die Einflüsse der einstigen Kolonialmacht Portugal abstreifen und die heterogene Bevölkerung widerspiegeln. Eine zentrale Rolle spielt etwa das «Manifesto Antropófago» von Oswald de Andrade.
Im «Kannibalenmanifest» forderte der Dichter die Künstler auf, sich die europäische Kultur einzuverleiben, zu verdauen, und so eine eigene brasilianische Kunst zu schaffen. Das Abnabeln geschieht freilich nicht sofort.
Ein Teil der in Bern ausgestellten Künstlerinnen und Künstler stammt aus wohlhabenden Familien oder verfügt über Reisestipendien. Sie suchen zunächst bei Europas Avantgarde nach einem neuen Stil.
Autodidakten entwickeln eigene Ausdrucksformen
Tarsila do Amaral zum Beispiel studiert an der Académie Julian in Paris bei Fernand Léger und pendelt in den 1920ern regelmässig zwischen São Paolo und der französischen Metropole. Lange noch erinnern ihre Landschaften und die Alltagsszenen der afrobrasilianischen Bevölkerung an Légers Kubismus.
Ähnlich verhält es sich mit Anita Malfatti (1889–1964), die in Berlin studiert und expressionistische Porträts malt. So anders sehen da die Arbeiten von Djanira da Mottae Silva (1914–1979) oder Rubem Valentim (1922–1991) aus. Beide haben indigene beziehungsweise afrobrasilianische Wurzeln und geniessen keine klassische Kunstausbildung.
Stattdessen orientieren sich die Autodidakten immer konsequenter an den brasilianischen Volkskulturen. Valentim etwa studiert zunächst die Arbeiten von Paul Cézanne und Paul Klee, bevor er für seine abstraktgeometrischen Bilder mehr und mehr auf Pfeile und weitere Elemente einer indigenen Formensprachen zurückgreift. Die europäische Kunst ist da fast ganz verdaut – Brasilien strahlt aus diesen Gemälden.
Brasil! Brasil!
Aufbruch in die Moderne
Bis So, 19.1.25,
Zentrum Paul Klee, Bern