Um in Aladins Höhle zu gelangen, betritt man im Sulzer-Hochhaus den Lift und drückt auf den Knopf «–3». Zugegeben, es erwartet einen nicht ganz die Grotte aus dem Märchen «Aladin und die Wunderlampe». Spektakulär ist dennoch, was unter Winterthur verborgen liegt: Ein Sichtbeton-Labyrinth aus Gängen, unzähligen Türen und Lagerräumen. Hier bewahrt die SKKG, die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, einen Teil ihrer riesigen Sammlung auf. Ein Schatz, wie es wohl keinen zweiten gibt.
Zusammengetragen wurde er einst vom Winterthurer Immobilienbesitzer und Sammler Bruno Stefanini (1924–2018). Und was für ein Sammler Stefanini war. Er kaufte Schiffsmodelle und Särge, Mopeds und Musketen, Panzer und Porzellan, Schuhe von Kaiserin Sisi und Bilder von Giovanni Segantini. 1980 übertrug er seinen Besitz seiner Stiftung SKKG: Liegenschaften, vier Schlösser und eine Sammlung von etwa 85 000 Kunstwerken und historischen Objekten. Davon lagern rund 15 Prozent unter dem Sulzer-Hochhaus.
Ein Pfau, ein Zentaur und eine Wasserträgerin
An einem Morgen führt Christian Kunz, Leiter Sammlungserschliessung, durch dieses Depot im Untergrund. Kunz geht zügig durch die Gänge, schliesst Türen auf, zeigt hier und dort auf Gegenstände. Er tut dies mit einer Beiläufigkeit, die einen fast vergessen lässt, wie beeindruckend dieser Ort eigentlich ist. In einem Leihgabenregal liegt ein Morgenstern. Auf Holzgestellen stehen Dutzende Zweihänder. Von Kleiderständern glitzern die Goldapplikationen historischer Pagenuniformen. Und in einem Raum sind bunt gemischte Skulpturen zur Schicksalsgemeinschaft geworden: ein Pfau, ein Zentaur, eine Wasserträgerin. Letztere balanciert ein Gefäss auf dem Kopf – gänzlich unbeirrt vom deutschen Maschinengewehr, dessen Lauf auf sie zielt.
«Wir sortieren nicht nach Gattung, eher nach Lageranforderungen», kommentiert Kunz die seltsame Paarung. Nicht ohne eine Spur Belustigung. Dann deutet er auf einige Etiketten mit QR-Code, die an Holzkisten kleben. Jedes Objekt verfügt über eine solche – wie sonst sollte man hier etwas wiederfinden?
Rund 10 000 Jahre Kulturgeschichte
Waffen, Bilder, Uniformen – sammelte Bruno Stefanini überhaupt nach einem Konzept? Severin Rüegg überlegt. Der Leiter Sammlung sitzt in einem Sitzungszimmer der SKKG, einige Stockwerke über dem Lager im Sulzer-Hochhaus. «Wir wissen noch nicht genug», beginnt er schliesslich seine Antwort. «Wir fangen jetzt erst langsam an, die Sammlung zu verstehen.» Dann steckt er doch Eckpunkte ab. Stefanini habe einerseits sehr breit gesammelt: Gut 10 000 Jahre Kulturgeschichte, vom teuren Gemälde bis zum Flohmarktfund für zwei Franken fünfzig. Das Meiste stammt aus Europa. Deutlich seien auch bestimmte Interessen, die Weltkriege etwa. «Ihn faszinierte wohl eine gewisse Unmittelbarkeit zu historischen Ereignissen und Personen», fügt Rüegg an. So liessen sich auch Objekte wie Napoleons Bett erklären. Anderes überraschte den Sammlungsleiter. Zum Beispiel der Nachlass einer Hamburger Sexarbeiterin aus den 1940ern. «Stefanini interessierte offenbar auch die Lebensrealität der Menschen.»
Dass Rüegg das alles verraten kann, ist 18 Monaten intensiver Arbeit zu verdanken, die er und sein Team hinter sich haben. Stefanini lagerte vieles in Kellern, Estrichen und Garagen ein; dementsprechend schlecht war der Zustand vieler Objekte. Rüegg berichtet von Dreckablagerungen und Schimmel auf Gemälden, von krebserregenden Fungiziden auf Holzmöbeln, von Munition, die durch Kampf-mittelspezialisten der Armee untersucht werden musste. Und von Asbest. Asbest in Schuhsohlen, Gasmaskenfiltern, alten Autos und einem Dioramagemälde. In speziellen Räumen und mit Schutzanzügen mussten die Mitarbeiter die Bestände reinigen, bevor sie ins Inventar aufgenommen werden konnten. Rüegg addiert die insgeamt geleisteten Arbeitsstunden: 35 Jahre, ein ganzes Arbeitsleben.
Die Herkunftsforschung ist in vollem Gange
Und Schluss ist noch lange nicht. Als nächstes steht die Provenienzforschung an. Ihr Glück sei, dass Stefanini seine Käufe gut dokumentiert habe, sagt Rüegg. «Wir hoffen, dass wir zum Beispiel in seinen Tagebüchern und Briefen Hinweise auf einzelne Objekte finden.» Und dann gibt es noch den Auftrag der Stiftung: Die Sammlung soll als erlebbares Kulturerbe der Öffentlichkeit zugänglich sein. Erste Projekte hat die SKKG diesbezüglich in Winterthur bereits umgesetzt. Der Künstler Pedro Wirz liess seine Eindrücke der Reinigungsarbeiten in das Triptychon «Brixe» einfliessen. Zu sehen ist dieses im Foyer des Museums Schaffen in Winterthur. Und für die Schau «Zones of Potential Encounters» in den Oxyd-Kunsträumen haben Studierende der ZHdK mit Gegenständen aus der Sammlung gearbeitet. Für Severin Rüegg ist klar: «Diese Objekte haben keinen Sinn, wenn sie nicht genutzt und in Diskussionen aufgenommen werden.»
Drei Stockwerke unter dem Sulzer-Hochhaus tritt Chris-tian Kunz durch eine Bunkerschleuse und einen Treppenabsatz hoch in die Restaurationsabteilung. Hier wird mit rund 4000 Gemälden und Grafiken der letzte Teil der SKKG-Sammlung erschlossen. An einem Tisch fasst eine Mitarbeiterin gerade ein Bild mit einer Art Kartonmanschette ein. «Das ist ein sogenannter Schuh», erklärt Kunz. «Der schützt die Rahmen bei der Lagerung und wenn wir Bilder aus den Regalen ziehen.» Auf einem Gestell stehen Dutzende dieser eingefassten Gemälde. Im weissen Karton und mit einem Band fixiert, erinnern sie ein wenig an liebevoll verpackte Geschenke. Hoffentlich werden sie bald geöffnet.
Zones of Potential Encounters
Bis So, 17.7., Oxyd Kunsträume Winterthur ZH
Pedro Wirz – Brixe
Bis So, 3.7., Foyer Museum Schaffen Winterthur ZH
www.skkg.ch