Im zürcherischen Höngg verschwinden im Herbst 1523 zwei Engel aus der Kirche sowie ein gemalter Christus am Ölberg. Im benachbarten Wipkingen stürmt eine gut gelaunte Hochzeitsgesellschaft nachts ins Gotteshaus, trägt die sakrale Kunst hinaus und befördert sie, schwupps, in die Limmat. Im Dorf Stadelhofen am See reisst ein frecher Schuster ein Kruzifix bei der Mühle herunter – und das alles im Namen des neuen, richtigen Glaubens. Diese Episoden schildert der Zürcher Chronist Franz Rueb. Sie läuteten den Zürcher Bildersturm ein, der allerdings gemäss Rueb wesentlich gesitteter zu und her ging, als man glauben könnte. Nach den ersten vereinzelten Vandalenakten beschlossen die protestantischen Stadtoberen eine ruhige Demontage der verpönten katholischen Kunst. Reformator Huldrych Zwingli rief stets zur Mässigung auf, wenn Heisssporne zu radikal ans Werk gehen wollten. Anders als etwa in Basel, wo der Mob zu einer Zerstörungsorgie ansetzte.
Das Ende der sakralen Kunst ist die Ausgangslage einer neuen Ausstellung im Zürcher Kunsthaus unter dem Titel «Bilderwahl! Reformation». Die Schau erläutert anhand exemplarischer Werke den Einfluss der Reformation auf die Entwicklung der bildenden Kunst. Sie folgt der These des österreichischen Kunstkritikers Werner Hofmann, laut der die Reformation das künstlerische Schaffen zwar zuerst einschränkte, später aber zu einer Befreiung führte. Denn die Zwänge einer hierarchischen Institution waren weg. Neue, nicht sakrale Perspektiven zeigten sich. Die in fünf Kapitel aufgeteilte Zürcher Schau schlägt einen kühnen Bogen vom 16. Jahrhundert bis zu Künstlern wie Piet Mondrian oder den Zürcher Konkreten.
Bilderwahl! Reformation
Fr, 29.9.–So, 14.1.
Kunsthaus Zürich
Albert Anker
Der Erste Kappelerkrieg zwischen Katholiken und Reformierten endete nach einer Glarner Vermittlung 1529 mit dem gemeinsamen Schlürfen einer Suppe versöhnlich. Der Seeländer Künstler Albert Anker wählte diese Episode als idealisiertes Sinnbild für die religiöse Einigkeit, nachdem das Land im Sonderbundskrieg zerrissen war. Es zeigt tapfere Krieger, die sich friedlich zum Mal niederliessen – aber zwei Jahre später kam es zum Zweiten Kappelerkrieg, in dem Huldrych Zwingli starb.
Ferdinand Hodler
Das Gemälde «Einmütigkeit» (1913) von Hodler weckt unterschiedliche Assoziationen. Ein bisschen aufgeblähter Rütlischwur, wie man ihn sich damals vorstellte, aber mehr noch kämpferische Burschenherrlichkeit. Hodler forderte mit «Einmütigkeit» dazu auf, die religiösen Zwistigkeiten zu vergessen und sich auf das Gemeinsame zu besinnen. Diese Botschaft wurde angesichts der Bedrohung vor dem Ersten Weltkrieg verstanden.
Stehende Madonna mit Kind
Ein unbekannter Meister hat diese Statue für die Kirche in der bündnerischen Gemeinde Churwalden geschaffen. Ende des 15. Jahrhunderts verbreitet sich die Reformation zusehends. Statuen wie die Stehende Madonna mit Kind erzürnten die religiösen Eiferer. Für die römisch-katholische Kirche blieben diese Werke zentral, weil die Marienverehrung ein wesentlicher Grundpfeiler ihres Glaubens ist.
Piet Mondrian
Die Gruppe De Stijl mit dem niederländischen Künstler Piet Mondrian wandte sich «universalen Gesetzen der Geometrie, Mathematik und Optik» zu, wie es im Ausstellungstext heisst. Ihre Kunst enthält einen
unterschwellig sakralen Charakter. Dieser äussert sich in der ausgeklügelten Komposition sowie den Grundformen Kreis und Quadrat: Zudem bedienten sich die Künstler in Manifesten und Bildtiteln einer religiös konnotierten Sprache.
Bild: Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, 1956
El Greco
Charles de Lorraine-Guise (1524–1574) verkörperte die Macht der katholischen Kirche beispielhaft. Er bestimmte unter den Königen Heinrich II. und dessen Sohn Franz II.
die Politik der französischen Krone – skrupellos den eigenen Interessen verpflichtet. Lorraine-Guise war ein Meister des Nepotismus, darauf bedacht, an den Schlüsselstellen eigene Leute zu installieren. Und er ging mit Rücksichtslosigkeit gegen die Hugenotten, die reformierten Franzosen, vor.
Philippe de Champaigne
Der französische Barockmaler Philippe de Champaigne (1602–1674) war dem alten Glauben fest verpflichtet, wie dieses «Schweisstuch der Heiligen Veronika» belegt. Er verkehrte in den schicken adligen Kreisen seiner Zeit, die ihn immer wieder mit lukrativen Aufträgen verwöhnten. Die Heilige Veronika reichte das Tuch angeblich dem gepeinigten Christus, als er auf den Hügel Golgatha schritt – sein Antlitz soll darauf verewigt sein.