Jüngst an einem Aussichtspunkt auf der Weissensteinkette: Wolken haben sich über das Mittelland gelegt, in der Ferne ragen die Alpen aus dem Grauweiss. Vier Herren einer Wandergruppe lassen ihre Blicke schweifen, fotografieren, dann fällt dieser Satz: «Das ist ja wie bei Caspar David Friedrich.»
Inbegriff der romantischen Malerei
Die geraunten Zustimmungen lassen keine Zweifel: Sie alle haben gerade an «Wanderer über dem Nebelmeer» gedacht. Das Gemälde gilt als Inbegriff der romantischen Malerei. Überhaupt ist das Œuvre seines Schöpfers Caspar David Friedrich (1774–1840) zu einer Art Musterbuch geworden, an dem wir Landschaften abgleichen, die wir als erhaben empfinden.
Gipfelketten, Nebelschwaden, mondbeschienene Küsten – alles wie bei Friedrich! 2024 könnte der Maler seinen 250. Geburtstag feiern. Das Kunst Museum Winterthur würdigt ihn schon jetzt mit der Jubiläumsschau «Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik».
Landschaften wie Theaterkulissen
In der ersten grossen Schweizer Friedrich-Ausstellung überhaupt stehen seine Inspirationsquellen seinen Arbeiten gegenüber. So sind neben ikonischen Werken wie «Kreidefelsen auf Rügen» oder «Wanderer über dem Nebelmeer» auch Schweizer Kleinmeister oder Claude Lorrains idyllisch-arkadische Landschaftsbilder zu sehen.
Weshalb aber sollten wir Friedrich überhaupt feiern? Weder war er der einzige Romantiker, noch dauerte seine Karriere besonders lang. Im Gegenteil: Erstaunlich rasch kamen seine Bilder aus der Mode, geriet der Maler für Jahrzehnte in Vergessenheit. Vielleicht verbirgt sich der Schlüssel zum Phänomen Friedrich in der Gegenüberstellung, welche die Winterthurer Ausstellung vornimmt. Ja, erhaben sind auch die Landschaften der Kleinmeister. Klar, träumerisch sind auch Claude Lorrains Bilder von Ruinen. Aber Friedrich malte das alles anders – mysteriöser, melancholischer, plastischer.
Er verewigte Landschaften, die er selber erwandert hatte – bis dato fast unbekannte Sujets wie die Gipfel im Harz oder die Kreidefelsen von Rügen. Seine Motive gab er nicht bloss realistisch wieder, er präsentierte sie Theaterkulissen gleich. Er unterteilte seine Bilder in Zonen, die er durch flüchtige Lichtspiele, Schatten, Regenbogen oder Wolken trennte. Im Vordergrund platzierte er dann Anhöhen, Felsen oder Meeresufer, von denen aus der Blick des Betrachters in die Ferne gezogen wird. In «Kreidefelsen auf Rügen», «Wanderer über dem Nebelmeer» und zahlreichen weiteren Werken malte er Figuren in Rückenansicht, deren Blickrichtung die Position des Bildbetrachters doppelt.
Religiös motivierte Kunst
Die präzise Kombination dieser Elemente war gewollt. Der tiefreligiöse Maler zielte auf die Gefühle der Betrachter ab: Seine Gemälde sollten Ehrfurcht vor der göttlichen Schöpfung lehren. Das mag uns heute fremd erscheinen, die Sogwirkung der Bilder ist dennoch ungebrochen. Wo sonst sieht man Nebelflächen und rätselhaft schimmernde Horizonte, die bis ins Unendliche zu reichen scheinen? Ausser auf dem Weissenstein, natürlich.
Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik
Sa, 26.8.–So, 19.11.
Reinhart am Stadtgarten Kunst Museum Winterthur ZH