Ausstellung: Bilder göttlicher Legenden
Das Kunstmuseum St. Gallen führt die Besucher durch die geheimnisvolle Welt der russischen Ikonen – «Heilige, Wunder und Visionen».
Inhalt
Kulturtipp 08/2016
Letzte Aktualisierung:
08.04.2016
Rolf Hürzeler
Ikonenbilder erzählen Geschichten. Etwa die Legende der Heiligen Zosima und Savvatij, die im 15. Jahrhundert am Ende der Welt das Kloster der Verklärung Christi auf der Insel Soloviki an der Nordküste Russlands gründeten. Diese Ikone stellt die beiden Heiligen vor, in der Mitte sowie unten rechts und links. Pilger erweisen den zwei Gottesfürchtigen im Kloster die Ehre. Es steht bis heute auf dieser einsamen Insel im Weissen Meer. Fernab von menschlichen Siedlungen, we...
Ikonenbilder erzählen Geschichten. Etwa die Legende der Heiligen Zosima und Savvatij, die im 15. Jahrhundert am Ende der Welt das Kloster der Verklärung Christi auf der Insel Soloviki an der Nordküste Russlands gründeten. Diese Ikone stellt die beiden Heiligen vor, in der Mitte sowie unten rechts und links. Pilger erweisen den zwei Gottesfürchtigen im Kloster die Ehre. Es steht bis heute auf dieser einsamen Insel im Weissen Meer. Fernab von menschlichen Siedlungen, welche die Mönche im Gebet hätten stören können.
Dieses wunderbare Kunstwerk aus dem 17. Jahrhundert ist nun in der neuen Ausstellung «Heilige, Wunder und Visionen» im Kunstmuseum St. Gallen zu sehen. Wie bei vielen Ikonen bleibt der künstlerische Meister unbekannt. Bemerkenswert ist neben der sorgfältigen farblichen Gestaltung sein raffiniertes Spiel mit der Perspektive, die den Blick des Betrachters durch ein klösterliches Labyrinth führt.
Bedeutende Kollektion
Das St. Galler Kunstmuseum erhielt vor drei Jahren über 150 Metall- und Holzikonen sowie Kleinantiquitäten und slawische Handschriften des kürzlich verstorbenen Sammlers und Arztes René Gürtler. Während 60 Jahren trug er mit seiner Frau Lotti die bedeutendste Ikonen-Kollektion der Schweiz zusammen. Das Kunstmuseum präsentiert eine Auswahl davon vor dem Hintergrund einer farblich intensiven Inszenierung des österreichischen Künstlers Gerwald Rockenschaub, dessen Werke dieses Jahr im Kunstmuseum bereits zu sehen waren.
Laut der Kuratorin Céline Gaillard kaufte das Ehepaar Gürtler die Ikonen als künstlerisches Engagement auf dem freien Markt. Auch ein religiöses Interesse wird bestanden haben, denn die Darstellungen gelten in der orthodoxen Kirche als Mittler zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Die Kunst konnte sich in den russischen Welten unbehelligt von westlichen Einflüssen zu einem eigenständigen Genre entwickeln, welches das religiöse Leben in Russland bis heute prägt und ursprünglich der Verbreitung der christlichen Lehre diente. Die vielfach des Lesens und Schreibens unkundigen Gläubigen verstanden die Symbolsprache der Künstler, die ihnen von den wundersamen Legenden der Frommen erzählte.
Die St. Galler Ausstellung versammelt Meisterwerke der Ikonenmalerei aus dem 16. bis 19. Jahrhundert und gewährt dem Besucher damit einen Einblick in die Kunst des osteuropäischen Kulturraums. Diesen werden Heiligenskulpturen, liturgische Glaubenssymbole und Zeugnisse der mittelalterlichen Buchkunst aus dem Westen gegenübergestellt.
Sakrales Zentrum
Die einzelnen Legenden wirken bis heute nach. Das Kloster der Verklärung Christi in Nordrussland entwickelte sich im 16. Jahrhundert zu einem wichtigen sakralen Zentrum. Die heutige Burganlage wurde in jener Zeit gebaut. Seither wurden die Mönche – trotz der peripheren Lage – immer wieder mit den Unbilden der Zeit konfrontiert. Im 17. Jahrhundert standen sie in einem jahrelangen Konflikt mit dem Zaren. Oder im 19. Jahrhundert stand das Kloster im Visier der britischen Marine, die im Krimkrieg eine zweite Front eröffnen wollte. Und in der Sowjetzeit schliesslich bot sich die Anlage den Machthabern als ein Gulag an, um Bürger fernab von den Zentren zu kasernieren.
All das hätten sich die beiden Heiligen Savvatij und Zosima zu ihrer Zeit wohl nicht träumen lassen.
Heilige, Wunder und Visionen
Fr, 8.4.–So, 11.9. Kunstmuseum St. Gallen