Der Mann hängt an der Angel einer Frau, wahrscheinlich einer Prostituierten. Wie ein geköderter Fisch liegt er ihr zu Füssen. Sie ist zwar in modische Kleider mit enger Taille gehüllt, entbehrt jedoch der Erotik. Die Anglerin erscheint als die Dominierende, die ihren Freier nach Belieben gängelt.
«Narr an der Angel einer Metze» lautet der Titel die- ser Zeichnung aus den spä- ten 1750er-Jahren des jungen Johann Heinrich Füssli (1741– 1825). Der liberal gesinnte Zürcher wurde 1761 reformierter Pfarrer, allerdings eher widerwillig. Sein Vater, ebenfalls ein Maler, hatte ihn zur Theologie genötigt, sodass er keine Kunstschule besuchen konnte.
Künstlerisch verarbeitete Ängste
Die Zeichnung des Narren an der Angel ist in der neuen Ausstellung «Füssli: Mode – Fetisch – Fantasie» des Zürcher Kunsthauses zu sehen. Der Künstler widmete sich zeitweise obsessiv weiblichen Darstellungen und gab sich wie mit dem «Narren» kühnen Fantasien hin, die in seinen späteren Arbeiten ins Pornografische kippten.
Für Füssli ging von den Frauen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, die sie so gefährlich erscheinen liess, dass er seine Ängste fast zwanghaft künstlerisch verarbeiten musste. Seiner Generation waren die Gefahren der freien Liebe bewusst, denn schwere Geschlechtskrankheiten waren damals unheilbar. Dazu kam die gesellschaftliche Dimension der Sexualität, wie es im Katalog heisst: «In Füsslis Kunst fungiert das Bild der dominierenden Prostituierten auch als Vehikel für sein tiefes Misstrauen gegenüber einer Konsumgesellschaft, die er, Rousseau folgend, in zunehmender Abhängigkeit von den Vorlieben der Frauen sah.»
Der Fantasie liess Füssli freien Lauf
Zeichner Füssli staffierte seine weiblichen Figuren mit kühnen, oft gewagten Outfits aus, arbeitete indes in den Anfängen meist ohne Modell, sodass er seinen Fantasien freien Lauf lassen konnte. Er liebte offenkundig gewagte Frisuren, die er so exzentrisch drapierte, wie es wohl kaum eine Frau im richtigen Leben getan hätte.
Psychologen sprechen von einem «Fetischcharakter », den der Kopfputz für ihn gehabt haben musste. Im Einzelfall sind Füsslis Skizzen Karikaturen einer Weiblichkeit, die sich der Künstler vielleicht gewünscht haben mochte, die mit der Wirklichkeit jedoch wenig gemein hatten.
Füssli war ein selbstbewusster Mann, der sich gerne einer deutlichen, oftmals groben Sprache bediente und keinen Streit ausliess, wenn sich Gelegenheit dazu bot. Bereits in jungen Jahren wusste er sich durchzusetzen. Nach politischen Querelen mit dem reaktionären Landvogt von Grüningen zog er es allerdings vor, sich nach Deutschland zu verziehen.
In Berlin liess er sich vom englischen Gesandten überreden, nach London zu reisen. Die Stadt war damals die führende europäische Handelsmetropole und ein Mittelpunkt des Geisteslebens. Hier schlug sich Füssli zuerst als Übersetzer durch und fand schliesslich einen Markt für seine Kunst. Lange blieb er indes nicht in England, sondern zog nach Rom, um sich mit der Antike und der Renaissance auseinanderzusetzen. Nach ein paar Jahren kehrte er auf die Insel zurück, wo er dank seinen oftmals grossflächigen Gemälden als arrivierter Künstler gefeiert wurde. Persönlichkeiten wie der Maler Joshua Reynolds förderten ihn.
Heirat mit dem Modell Sophia Rawlins
Frauenskizzen interessierten den Künstler in dieser Lebensphase kaum. Er trat vielmehr mit symbolbeladenen, oftmals dunkel gehaltenen Ölbildern hervor, meist mit bedrohlich-mystischen Motiven aus der antiken Sagenwelt. Diese Bilder erscheinen den heutigen Betrachtern ziemlich fremd, trafen aber den Publikumsgeschmack im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert.
Diese Dimension seines Schaffens ist nicht Teil der Zürcher Ausstellung. Henry Fuseli, wie ihn die Engländer nannten, wurde Mitglied der damals jungen Royal Academy of Arts am Piccadilly. Eigentlich hegte er Vorbehalte gegenüber dem etablierten Kunstbetrieb, liess sich jedoch aus finanziellen Gründen als Dozent an der Königlichen Akademie einstellen.
Im Sommer 1788 heiratete er das 20 Jahre jüngere Künstlermodell Sophia Rawlins. Mit ihr kehrte bei Füssli die Lust an der Skizze zurück: «die erotisierte Figur der modernen Frau», wie es im Katalog heisst. Das hatte praktische Gründe, weil ihm mit Sophia nun ein professionelles Modell zur Verfügung stand.
Kunstexperten glauben anhand der Zeichnungen sogar die Beziehung zwischen den beiden analysieren zu können und Sophias Entwicklung von der Gespielin zu einer Gefährtin, die ihn dominierte. So habe er mitunter Kurtisanen mit Sophias Gesichtszügen gezeichnet, die Männer dominierten oder erniedrigten.
Daraus folgt die naheliegende Frage, wie Sophia sich dazu stellte, als eine übersexualisierte Frau in die Kunst einzugehen. Verbürgt ist ihre Aussage, dass es sie habe, auf so vielen Darstellungen erkannt zu werden. Sie erachtete es allerdings als «misslich», in schmerzhaften Positionen sitzen oder stehen zu müssen.
Ein Künstler, der vor Selbstbewusstsein strotzte
Das Paar verbrachte die letzten gemeinsamen 20 Jahre in Räumlichkeiten des renommierten Somerset House am Strand. Heute ist es ein Kulturzentrum und wie die Royal Academy der Öffentlichkeit zugänglich. Füssli war im Alter offenbar wohlhabend, sonst hätte er sich diesen Wohnsitz nicht leisten können.
Er selbst war überzeugt, dass sich ausser ihm «in England niemand auf das Zeichnen versteht». Überlieferte Zitate wie dieses belegen, dass der Künstler ein grosses Selbstbewusstsein hatte – auch in seinem Verhältnis zu den Frauen.
Füssli: Mode – Fetisch – Fantasie
Fr, 24.2.–So, 21.5.
Kunsthaus Zürich