Diese banalen Pumps, «Stögelischuhe» genannt, provozieren. Der Gedanke wird der Künstlerin Meret Oppenheim (1913–1985) Mitte der Dreissigerjahre des letzten Jahrhunderts gekommen sein. Sie drapierte damals die Schuhe mit Manschetten zu einem aus dem Ofen gezogenen Poulet und versah sie mit einem Titel, der eine kleine Geschichte erzählt: «Ma gouvernante – my nurse – mein Kindermädchen». Vielleicht wollte die Künstlerin damit sagen: Seht her, die traditionelle Weiblichkeit bewegt sich zwischen oberflächlicher Mode und Haushalt. Oder sie dachte an einen Autoritätsglauben, der aus der Zeit gefallen ist. Oder noch einfacher: Meine Kinderfrau war ein dummes Huhn.
Bei der Kunstkritik kam das Werk schlecht an
Die genaue Idee lässt sich heute naturgemäss nicht mehr rekonstruieren. Sicher ist jedoch, dass das Objekt laut dem Ausstellungskatalog bei der damaligen Kunstkritik schlecht ankam, als Meret Oppenheim es 1936 in ihrer ersten Einzelausstellung in der Basler Galerie Schulthess zeigte. «Zu wenig Substanz, zu wenig Können, weniger Zügellosigkeit, mehr Objektivität und sich besser im Umgang mit Farben vertraut machen, das möchten wir dem Meretlein auf den Weg geben», urteilte die lokale «National-Zeitung».
Dieses Werk ist in der kommenden Retrospektive «Meret Oppenheim. Mon exposition» im Berner Kunstmuseum zu sehen. Die Schau zeigt 200 Objekte, die das gesamte Schaffen der vielfältigen Künstlerin repräsentieren – Skulpturen, Papierarbeiten oder Gemälde.
Die Ausstellung liest sich wie ein Lebenslauf der Künstlerin, die zu Beginn der Dreissigerjahre im jugendlichen Übermut nach Paris reiste. Des Französischen kaum mächtig, stürzte sie sich in die Künstlerszene von Montparnasse, mithin in die lose Gruppe von Avantgardisten, die dem gestalterischen Schaffen in der Zwischenkriegszeit die richtungsweisenden Impulse verliehen – von Alberto Giacometti über Max Ernst bis zu Man Ray.
In Paris erkannte sie die Kraft des Surrealismus
Meret Oppenheim suchte den Aus- und den Aufbruch. Sie war in einer bürgerlichen Familie in Südbaden (D) aufgewachsen. Ihr deutscher Vater, ein Arzt, hatte jüdische Wurzeln, die evangelische Mutter war Schweizerin. Meret Oppenheim fand als Teenager Anschluss an die Basler Kunstszene und fuhr mit der dominierenden Malerin Irène Zurkinden nach Paris. Oppenheim erkannte dort die Kraft des Surrealismus und erkämpfte sich mit Ideen wie den Pouletschuhen Anerkennung.
Offenkundig vermochte sie den Zeitgeist exakt nachzuempfinden und in ihren Werken umzusetzen. So ist bis heute in der kollektiven Wahrnehmung ihr Werk «Objet» präsent geblieben, eine mit Pelz überzogene Tasse. Oppenheim soll laut einer Darstellung der Kunstexpertin Bice Curiger Pablo Picasso und Dora Maar 1936 im Pariser Café de Flore getroffen haben. Die junge Oppenheim trug ein pelzbesetztes Armband, das die beiden bewunderten. Sie hatte es für die legendäre Designerin Elsa Schiaparelli selbst entworfen. Das Trio scherzte, dass man alles mit Pelz besetzen könne, sogar «diese Tasse!». Kurze Zeit später bat der Surrealist André Breton Oppenheim, an einer Ausstellung seiner Bewegung teilzunehmen. Sie erstand eine billige Porzellantasse, eine Unter-tasse sowie einen Löffel und überzog sie «mit Pelz, den ich einmal zufällig gekauft hatte». Die Pelztasse brachte Oppenheim breite Aufmerksamkeit, hatte aber später den Nachteil, dass ihre Arbeit immer wieder darauf reduziert wurde.
Mit den Weltkriegen kam die Schaffenskrise
Trotz der Anerkennung in den Kreisen von Montparnasse konnte Oppenheim von der Kunst nicht leben und setzte deshalb weiter auf Mode- und Möbelarbeiten, die ihr ein bescheidenes Einkommen ermöglichten. Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg führten sie wie viele andere ihrer Generation in eine Sinn- und Schaffenskrise, die jahrelang andauern sollte. 1949 heiratete Oppenheim den wohlhabenden Wolfgang La Roche aus dem «Basler Daig». Nach und nach fand sie zu ihrer schöpferischen Kraft zurück und wurde in den Fünfzigerjahren in der Öffentlichkeit wieder wahrgenommen – nun aber nicht mehr als Provokateurin. Sie gehörte zur etablierten Basler Kunstszene. Oppenheim erkannte in jener Zeit in der Pop-Art eine Weiterentwicklung des Surrealismus und suchte ihre eigenen Wege in dieser Richtung wie mit dem Werk «Eine entfernte Verwandte» im Jahr 1966. Sie formte eine Parodie auf die Brüste von Pin-ups mit einem Penis in der Mitte. Die sexuelle Anspielung ist auf den ersten Blick ersichtlich, auf den zweiten erschliesst sich indes ein zweiter Gedanke: Oppenheim löste mit diesem Objekt die Gegensätzlichkeit der Geschlechter auf.
Sie findet europaweit Anerkennung
Hintergründiger Witz durchzieht ihr Werk als eine Konstante, zumal sie in späteren Jahren immer wieder Ideen aus ihrer Pariser Zeit aufgriff. Ihr künstlerischer Auftritt war in der Nachkriegszeit jedoch neu. Sie fand nun europaweit Anerkennung und erhielt etwa den Grossen Preis der Stadt Berlin. Oder sie prägte in Bern mit ihrem turmartigen Brunnen die Altstadt mit. In dessen Nachbarschaft würdigt diese Retrospektive nun das Werk dieser kämpferischen Künstlerin.
Meret Oppenheim. Mon exposition
Fr, 22.10.–So, 13.2. Kunstmuseum Bern
www.kunstmuseumbern.ch
Fernsehen
Sternstunde Kunst: Meret Oppenheim – Eine Surrealistin auf eigenen Wegen
Sa, 23.10., 09.35 SRF 1
Papier-Arbeiten in Solothurn
Das Kunstmuseum Solothurn zeigt parallel zur Berner Ausstellung Papierarbeiten von Meret Oppenheim. Die rund 100 Exponate decken den gesamten Schaffensraum ab. Mit Ausnahme der Druckgrafik sind alle Techniken auf Papier vertreten: Tusche, Bleistift, Farbstift, Kohle und Gouachen. Die Auswahl geht vom hauseigenen Werkbestand und den darin vertretenen Motivkreisen aus: Frau, Baum, Vogel, Wolken und Himmel. Zum Thema der Frau gehören auch einige der seltenen Selbstbildnisse der Künstlerin («Portrait mit Tätowierung», 1980) sowie Darstellungen aus ihrem privaten Umfeld. Sie thematisierte zudem assoziative Wechselbeziehungen zwischen Natur und Menschenwerk. Als Metapher des sich wandelnden Bildes und der Einbildung wird das Sujet der Wolke zum Leitmotiv, dem in der Ausstellung viel Platz zukommt.
Sa, 23.10.–So, 27.2., Kunstmuseum Solothurn
www.kunstmuseum-so.ch