Aus der Welt der Stille
Regisseur Jean-Pierre Améris bringt die wundersame Geschichte der jungen Marie Heurtin aus dem 19. Jahrhundert auf die Leinwand: Taub und blind geboren, fand sie zu einer Sprache.
Inhalt
Kulturtipp 26/2014
Urs Hangartner
Marie Heurtin scheint ein aussichtsloser Fall zu sein. Ein unzähmbarer Wildfang, vom Arzt abgeschrieben und für ein Leben im Irrenhaus bestimmt. Wenn da nicht eine glückliche Fügung gewesen wäre. Maries Eltern wenden sich an die Nonnen von Larnay in der Nähe von Poitiers. Diese Institution unterrichtet taube Mädchen seit Jahren in Gebärdensprache; sie existiert heute noch. Das Verdikt der Schwester Oberin ist ernüchternd: «Wir nehmen ta...
Marie Heurtin scheint ein aussichtsloser Fall zu sein. Ein unzähmbarer Wildfang, vom Arzt abgeschrieben und für ein Leben im Irrenhaus bestimmt. Wenn da nicht eine glückliche Fügung gewesen wäre. Maries Eltern wenden sich an die Nonnen von Larnay in der Nähe von Poitiers. Diese Institution unterrichtet taube Mädchen seit Jahren in Gebärdensprache; sie existiert heute noch. Das Verdikt der Schwester Oberin ist ernüchternd: «Wir nehmen taube Mädchen auf, aber taub und blind – nein.»
Doch es gibt eine, die Marie aus ihrer Welt befreien will. Das ist der feste Wille von Sœur Marguerite (Isabelle Carré). Sie, die in Larnay eigentlich mit Gartenarbeit beschäftigt ist, will es mit Erziehung versuchen. Die Oberin lässt sich auf den Versuch ein.
Tasten auf der Hand
Es ist ein langer, steiniger Weg, den Marguerite und Marie gemeinsam auf sich nehmen. Nach vier Monaten erkennt die Oberin: «Ihre Sprache entwickelt sich nicht, sie ist ein wildes Tier.» Marguerite gibt nicht auf, hartnäckig, mit schier übermenschlicher Geduld verfolgt sie ihren Plan. Erschwerend kommt hinzu, dass die junge Nonne tödlich erkrankt ist. Lange hat sie wegen ihres Lungenleidens nicht mehr zu leben. Aber: «Ich möchte meine Aufgabe erfüllen. Ich sterbe sowieso.» Es gelingt ihr tatsächlich dank einer Zeichensprache mit Tasten auf der Handfläche: Marie beginnt zu kommunizieren. Selbst abstrakte Begriffe erlernt sie – Tod, Himmel, Gott.
Dieser anrührende französische Film beruht auf wahren Begebenheiten. Marie Heurtin (1885–1921) ist der Musterfall dafür, wie Taub-Blinde mit der Methode von Sœur Marguerite kommunizieren können. Herausragend das Spiel der jungen Ariana Rivoire in der Titelrolle: Sie ist tatsächlich gehörlos.
Marie Heurtin
Regie: Jean-Pierre Améris
Ab Do, 25.12., im Kino