«Phoenix» ist die Geschichte einer Art Auferstehung nach der Stunde Null. Deutschland im Jahr 1945 unmittelbar nach Kriegsende. Eine Frau kehrt aus Auschwitz zurück; eigentlich hat man sie für tot gehalten. Nelly (Nina Hoss) hat überlebt, aber mit einem durch eine Schussverletzung entstellten Gesicht. Ihre Freundin Lene Winter (Nina Kunzendorf) fährt Nelly zum plastischen Chirurgen. Ihr Wunsch: «Ich will genau so aussehen wir vorher.» Das ist unmöglich, aber der Arzt gibt sein Bestes. Nelly wird zwar äusserlich nicht mehr die Gleiche, sich selber aber sehr ähnlich sein – eine schöne Frau. Sie erkennt vor dem Spiegel: «Mich gibt es gar nicht mehr.»
Ein Wiedersehen
Eigentlich wollen Lene und Nelly nach Palästina auswandern. Vor allem Lene hält es im verlogenen Deutschland nicht mehr aus, wo die Tätergeneration weiterhin wirken kann. Nelly dagegen will ihre Liebe zurück. Dazu muss sie Johnny finden, ihren nichtjüdischen Mann (Ronald Zehrfeld). Tatsächlich entdeckt sie ihn in der Trümmerstadt Berlin. Musiker Johnny, der jetzt Johannes heisst, verdingt sich als Kellner in der Bar Phoenix. Doch Johannes will Nelly nicht erkennen. Oder kann er seine Nelly von damals nicht zusammenbringen mit dieser Person, die vorgibt, seine Frau zu sein? Weil er sie einst verraten hat?
Dennoch zeigt Johannes Interesse an dieser Frau; sie ist die Erbin eines beträchtlichen Vermögens, weil all ihre Verwandten ermordet wurden. Sie besitzt Immobilien («Da müssen wir erst die Nazis rausbringen»), in der Schweiz liegt viel Geld. Johannes’ Plan: Die Frau, die seiner totgeglaubten Gattin so stark ähnelt, soll sich als seine wirkliche Frau ausgeben, damit er als Witwer an ihr Vermögen kommt – «Sie sollen meine Frau spielen.» Zu diesem Zweck formt er Nelly. Sie soll die Frisur ändern und ihr Haar färben, sich schminken, lernen, in den Stöckelschuhen aus Paris zu gehen, und das rote Kleid tragen. Die Handschrift kann sie schon fast perfekt. Kein Wunder.
Zu Lene sagt Nelly, wie ihr geschehen ist: «Als ich Johnny wiederfand, da war ich wieder tot. Und jetzt hat er mich wieder zu Nelly gemacht.»
Krimi-Melodram
Das Vertrackte dieser Konstellation erinnert deutlich an Hitchcocks «Vertigo». In Petzolds Film ist es ebenfalls eine Frau, die nach den Vorstellungen eines Mannes zu einer anderen umgemodelt wird; auch wenn sie ein und dieselbe Person ist. Für Nelly in «Phoenix» bedeutet das: Sie spielt sich selbst, wird zu ihrer eigenen Doppelgängerin.
Identität, Fremdbestimmung, Selbstfindung, Verrat, Schuld und bedingungslose Liebe: Regisseur Christian Petzold und sein im Juli verstorbener langjähriger Drehbuch-Mitarbeiter Harun Farocki haben sich grosser Themen angenommen. In Form eines toll gespielten Krimi-Melodrams erzählen sie in einem historischen Kontext von kollektivem und individuellem Leid – von verwundeten Menschen in einer veränderten Welt.
Phoenix
Regie: Christian Petzold
Ab Do, 2.10., im Kino