kulturtipp: Augustin Hadelich, wie viele Sekunden brauchen Sie für den Zauberwürfel?
Augustin Hadelich: Ich bin nicht so schnell: 40 Sekunden etwa.
Und auf welchem Level spielen Sie Schach?
Nicht besonders gut – dafür übte ich als Kind wohl zu wenig. Aber die Logik im Schachspiel ist faszinierend.
Ich glaube, dass Sie nicht nur einer der besten Geiger der Welt sind, sondern auch ein ausgezeichneter Mathematiker wären. Wie sehr beeinflusst Ihr logisches Denken das Musizieren?
Es schadet nicht. In der Musik gibt es immer die intellektuelle und die emotionale Komponente, man darf weder die eine noch die andere vernachlässigen. Gerade im eben gespielten Violinkonzert von Beethoven ist es sehr wichtig, dass man sich die Partitur analytisch angeschaut hat, dass man den Aufbau versteht: Ich darf die Struktur nie aus den Augen verlieren. Dieses Werk kann man nicht einfach mit Spielen erarbeiten, auch wenn die emotionale Seite in der Probe mit Orchester und im Konzert im Vordergrund steht. Bei Beethoven darf ich selbst bei den allerschönsten Stellen nicht zu weit gehen, mich nicht total gehen lassen: Das Werk muss im klassischen Stil bleiben.
Sie wissen auf der Bühne immer, was Sie gerade wie machen?
(Zögert). Ja, eigentlich schon. Früher war das nicht so. Etwa mit 18 Jahren begann ich mir aber sehr genau zuzuhören. Das war bisweilen auch deprimierend, weil ich Dinge hörte, die mir nicht bewusst waren. Ich versuche aber, dieses exakte Zuhören im Konzert abzustellen und nicht mehr zu analysieren.
Ich merke, dass Ihnen das nicht so leichtfällt. Und Sie sollten ja dafür sehr genau aufs Orchester hören …
Ja, dieses Zuhören ist äusserst wichtig, gerade bei Beethoven, wo die Themen oft im Orchester sind: Da muss ich die Phrasierungen vom Orchester annehmen können, muss wie bei Kammermusik weiter- oder mitdenken, was die anderen Musiker machen. Dann wird es aber leichter, weil meine Passagen viel mehr Sinn machen.
Zuerst muss jedoch ein Einverständnis mit dem Orchester und dem Dirigenten da sein – wenn nicht, wird es doch furchtbar schwierig für Sie …
Es passiert leider trotzdem gelegentlich. Natürlich kann ich Dinge vorschlagen oder den Fluss des Tempos beeinflussen, aber manchmal gibt es Situationen, in denen ein Dirigent dem Orchester genau das Gegenteil von dem sagt, was ich gerade gedacht habe. Dann gilt es, sich anzupassen und das Beste daraus zu machen.
Ganz ehrlich: Es ist schwierig, in Ihrem Spiel Schwächen zu finden. Wo sind seine Wurzeln?
Ich muss weiter an mir arbeiten. Wer nicht versucht, immer besser zu werden, wird schlechter. Bei einem Stück wie dem Beethoven-Konzert mache ich mir jedes Mal Notizen: Dinge, die ich diesmal gelernt oder geändert habe. Aber Sie fragen nach Wurzeln …? Viele der Stücke, die ich heute spiele, kenne ich schon sehr lange, da ich sie als Kind bereits spielte. Bei Werken wie dem Mendelssohn- oder Tschaikowsky-Konzert musste ich mir deswegen irgendwann sagen: Jetzt muss ich damit von vorne beginnen!
Wie macht man das?
Ich habe die Werke für drei, vier Jahre weggelegt. Danach hatte ich mit ihnen neue Glückserlebnisse, da ich vor dieser Pause fast vergessen hatte, welch tolles Stück etwa das e-Moll-Violinkonzert von Mendelssohn ist. Es galt erst mal alles zu überdenken: Phrasierungen, Fingersätze, Striche … Zudem studierte ich den Urtext. Danach spielte ich die Werke völlig anders, als ob ich sie neu kennenlerne. Ich mag es nicht, wenn dem Werk alte Gewohnheiten oder Traditionen im Wege stehen. Ich will den Ausdruck, die Botschaft oder den Charakter jedes Stücks so natürlich wie möglich zum Klingen bringen. Da muss ich Beethoven natürlich ganz anders spielen als Tschaikowsky, Barber oder Ligeti. Die Art des Klanges, wie sich die Musik bewegt, das rhythmische Empfinden, die Artikulation, alles muss an das jeweilige Stück angepasst werden.
Sie fordern sich mit Ihrem Programm sehr heraus!
Ja, aber ich mag diese Wechsel: Heute Abend spiele ich in Lausanne das Konzert von Beethoven, am Wochenende in den USA jenes von Sibelius und in zwei Wochen in Bern das Konzert von Samuel Barber.
Haben Sie auch Lehrer, oder lösen Sie Ihre Probleme allein?
Meistens allein, aber ich lerne musikalisch sehr viel von den Dirigenten und anderen Musikern, mit denen ich auftrete, vor allem von Pianisten.
Da geht es um musikalische Dinge. Wie steht es mit der Geigentechnik?
Ich bin an dem Punkt angelangt, dass ich eine Technik gefunden habe, die für mich und meinen Körper passt. Ein anderer Geiger kann mir schon seine Technik zeigen, die passt aber vor allem für ihn. Es kann nützlich sein, zu sehen, wie andere technische Probleme lösen, aber ich muss die Arbeit an meiner Technik letztlich selbst machen.
Sie wissen, warum Sie etwas können, warum Sie gut sind: Sie können sich lesen.
Es gibt immer neue Probleme zu lösen, und ich höre nie auf, darüber nachzudenken. Klappt technisch etwas nicht, weiss ich meistens warum. Das heisst aber noch nicht, dass ich das Problem gleich lösen kann.
Konzerte
Sa, 2.2., 19.30 & So, 3.2., 17.00 Kursaal Arena Bern
Mit Werken von Cindy McTee, Samuel Barber, Leonard
Bernstein, George Gershwin
Augustin Hadelich
Der US-Bürger Augustin Hadelich wurde 1984 als Sohn deutscher Eltern in Italien geboren. Er galt als Wunderkind, aber ein schwerer Brandunfall stoppte die Karriere, als er 15 war. Er wurde geheilt und gewann mit 22 den Internationalen Violinwettbewerb von Indianapolis. In den USA gings danach bergauf, seit fünf Jahren erobert er auch die europäischen Podien. 2018 debütierter Hadelich bei den Salzburger Festspielen sowie beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Das Magazin «Musical America» wählte ihn 2018 zum «Instrumentalist of the Year».
CDs
Augustin Hadelich
Paganini – 24 Caprices
(Warner 2018)
Augustin Hadelich/ Joyce Yang
Franck, Kurtág, Previn, Schumann
(Avie Records 2016)
Augustin Hadelich
Mendelssohn/Bartók, Violinkonzerte
(Avie Records 2015)