Wenn König Kreon vor Wut entbrennt, hallt seine Stimme über die Weite des Fussballfeldes. «Ich kann dein Gerede nicht mehr hören», donnert der Patriarch in Richtung seiner Nichte Ismene. Sein Zorn ist gross, denn Ismenes Schwester Antigone hat sein Verbot missachtet und ihren verstossenen Bruder begraben. Dafür muss sie mit dem Tod büssen. Ihre Schwester kann trotz Flehen nichts mehr ausrichten. Selbst der Umstand, dass Antigone die Verlobte seines Sohnes Haimon ist, hält Kreon nicht vom Todesurteil ab.
Drama pur. Die griechischen Tragödien rund um Ödipus, der sich unwissend ins Verderben stürzt, schöpfen aus dem Vollen. «Es geht immer um die grösstmögliche Katastrophe und darum, dass jeder Mensch bei schwierigen Entscheidungen einsam ist», sagt Regisseurin Sophie Stierle in einer Probenpause. «Ein Mensch alleine auf einem Fussballfeld, das war für mich immer das Bild für Einsamkeit.» Auch sonst passt die griechische Tragödie besser aufs Luzerner Fussballfeld des FC Kickers, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Hier sind die grossen Emotionen zu sehen, Zufall und Schicksal spielen im Fussball eine ebenso grosse Rolle wie in den griechischen Mythen, Spielvarianten gibt es unzählige.
Körperlicher Einsatz
Die riesige Fläche, auf die das Publikum von der Tribüne aus blickt, fordert eine besondere Spielweise. Feinheiten wie die Mimik sind nicht zu sehen. «Wir müssen durch die Bewegung eine Umsetzung in ein klares Bild finden», sagt Sophie Stierle. «Gesten, die auf einer Theaterbühne zu dick aufgetragen sind, entfalten hier ihre Wirkung.
Das Verhältnis von Raum und Zeit ist komplett anders.» Wenn eine Figur vom anderen Ende des Spielfelds lossprintet, um eine andere zu retten, dauert es in Realzeit so lange, dass sie tatsächlich zu spät kommt. «Das ergibt ein viel realistischeres Spiel», sagt Schauspieler Marco Sieber.
Muskelkater sei die Folge des grossen körperlichen Einsatzes auf dem Platz, ergänzen die vier Schauspieler von Aeternam einstimmig. Vom Proben lassen sie sich aber auch bei strömendem Regen nicht abhalten – bei diesem Unwetter watschelt beim Probenbesuch ansonsten nur noch ein Entenpaar übers Feld. «So können wir gleich testen, ob die Kostüme wetterfest sind», meint Ausstatterin Nina Steinemann.
Einsatz verlangt auch Steinemanns Bühnenbild: Ein durchgehendes Motiv der drei Tragödien, die Jon Fosse in sein Familiendrama «Tod in Theben» verpackt hat, ist die Pest, die im Land herrscht. Daher schleppen die vier Protagonisten Säcke mit Leichen auf das Spielfeld. Mit zunehmendem Unglück häufen sich die Säcke, aus denen hier und dort noch ein Fuss oder eine Hand ragt.
Zeitloses Drama
Einen Pest-Ausbruch im heutigen Luzern kann man sich zwar schwerlich vorstellen, aber die Regisseurin betont die Zeitlosigkeit der griechischen Tragödien auf anderen Ebenen. «Die politischen Machenschaften von damals sind nicht so anders als heute. Und die zwischenmenschlichen Abläufe sowieso: Auch die Menschen vor 2000 Jahren waren keine Helden.» Aktuelle Bezüge ortet sie auch bei den Themen Selbstverantwortung und individuelle Freiheit. «Unsere Generation wächst im Glauben auf, dass sie alles schaffen kann, wenn sie nur will. Das halte ich für Blödsinn – wir sind beispielsweise abhängig davon, welche Eltern oder welche Bildung wir haben», meint sie. Und sie betont den Druck der heutigen Gesellschaft, für das persönliche Glück alleine verantwortlich zu sein. Zumindest bei Ödipus nimmt das Drehen am eigenen Schicksal kein gutes Ende. Je mehr er sucht, desto unausweichlicher wird die Tragödie.
In Stierles Inszenierung wird die Live-Musik eine wichtige Rolle spielen. Musiker Patrik Zosso übernimmt die Rolle des Sehers Teiresias. Geräusche sowie Teile mit Schlagzeug und elektronischer Musik wechseln sich ab. Dazu wird die Stimme von Jörg Dathe, Ensemblemitglied im Luzerner Theater, zu hören sein. Er hat Teiresias’ Worte im Studio eingesprochen.
Ein Hauch Hollywood
Jon Fosses Bühnentext lässt Raum für viele Fragen. Die deutsche Regisseurin Angela Richter hatte den Text bei ihrer deutschsprachigen Erstaufführung an den Salzburger Festspielen als «Hollywood-Version des antiken Mythos» bezeichnet – im positiven Sinne. Und mit einem Augenzwinkern bestätigt Sophie Stierle: «Es ist eine hochkonzentrierte Fassung, ein Drama folgt auf das nächste – also durchaus eine Spur Hollywood.»
Tod in Theben
Premiere: Fr, 3.7., 20.15
Stadion FC Kickers Luzern
www.aeternam.ch
Ein Konzentrat aus drei Tragödien
In den drei Tragödien «König Ödipus», «Ödipus auf Kolonos» und «Antigone» erzählt der griechische Dichter Sophokles (497/496 v. Chr. bis 406/405 v. Chr.) von einem Orakel, welches das Leben von Ödipus und seiner Kinder vorausbestimmt und auslöscht. Der unwissende Ödipus bringt seinen Vater Laios um und zeugt mit seiner Mutter Iokaste vier Kinder. Als er seinen Fehler erkennt, sticht er sich die Augen aus und verlässt Theben. Er verflucht seine Söhne Eteokles und Polyneikes, die sich im Kampf um Thebens Thron gegenseitig töten. Der neue König Kreon verbietet die Beerdigung von Polyneikes. Dessen Schwester Antigone bestattet ihn aus Gewissensgründen dennoch.
Zur Strafe sperrt Kreon sie lebendig in ein Felsengrab. Antigone bringt sich um – und ihr Verlobter Haimon, Sohn von Kreon, ebenfalls.
Der norwegische Autor Jon Fosse hat aus diesen drei Stücken das Familiendrama «Tod in Theben» geschaffen. Er verdichtet stark, behält aber die Grundhandlung, die sich über drei Generationen erstreckt, bei. Von den Hexametern im Original wechselt er zu einer modernen Kunstsprache.