Auawirleben Interkulturelle Begegnung als Fiktion
«Welt offen» zeigt sich das zeitgenössische Theatertreffen «Auawirleben» dieses Jahr mit zwölf Produktionen – zum Beispiel mit der argentinisch-schweizerischen Inszenierung «Fiktionland».
Inhalt
Kulturtipp 09/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Babina Cathomen
Wie schreiben ein Schweizer aus dem Emmental und eine Argentinierin aus Buenos Aires, die sich noch nie im Leben gesehen haben, ein gemeinsames Stück? Die heutige Technik macht es möglich. Per Mail und Skype haben
die beiden ihre Gedanken ausgetauscht: Der 43-jährige Theater- und Hörspielautor Gerhard Meister und die 31-jährige Schauspielerin und Autorin Romina Paula, wel-
che dank ihrer Grosseltern Deutsch spricht. Entstanden ist das Projekt...
Wie schreiben ein Schweizer aus dem Emmental und eine Argentinierin aus Buenos Aires, die sich noch nie im Leben gesehen haben, ein gemeinsames Stück? Die heutige Technik macht es möglich. Per Mail und Skype haben
die beiden ihre Gedanken ausgetauscht: Der 43-jährige Theater- und Hörspielautor Gerhard Meister und die 31-jährige Schauspielerin und Autorin Romina Paula, wel-
che dank ihrer Grosseltern Deutsch spricht. Entstanden ist das Projekt im Rahmen von «Dramaturgias Cruzadas», bei dem das Goethe Institut und Pro Helvetia den interkulturellen Dialog zwischen argentinischen und europäischen Dramatikern fördern.
Identität und Heimat
Die Begegnung von Lateinamerika und Europa steht denn auch im Zentrum des Stücks. «Fiktionland» nennen die beiden Autoren ihr Werk, das Anfang Jahr in Buenos Aires uraufgeführt wurde. Denn auf reiner Fiktion beruhen die Vorstellungen, welche sich die vier argentinischen Protagonistinnen von Europa machen. Von «unfruchtbar und verbraucht» bis zu «geordnet» reichen die Assoziationen zur sogenannten «Ersten Welt». Im Mittelpunkt der Inszenierung steht Rosa, die nach dem Tod ihrer Mutter ein paar alte Dias aus den 50ern von ihrem unbekannten Vater aus Deutschland entdeckt. Beim Anschauen der Dias und der Reise in die Vergangenheit entwickelt sich zwischen Rosa und ihren drei Freundinnen eine Diskussion über Identität und Heimat. «Die Idee, an einem Ort Wurzeln zu haben, wo du nicht geboren bist, ist total lächerlich und widersprüchlich, weil man nur dort Wurzeln schlagen kann, wo man selber ist und steht», meint etwa Bárbara, welche die DNA als «ein weiteres Herrschaftsinstrument» bezeichnet.
Universelle Fragen
Beatrix Bühler, seit 1999 künstlerische Leiterin von «Auawirleben», hat in Buenos Aires bereits eine Inszenierung von Romina Paula gesehen. An «Fiktionland» begeistert sie die «abgründige Mischung aus Lakonie und Sentiment in der interkulturellen Begegnung». «Wie eine private Geschichte – die Frage nach dem rätselhaften, abwesenden deutschen Vater – einen Kosmos von universellen Fragen aufwirft, ist umwerfend», sagt sie. Unterschiede in der europäischen und südamerikanischen Theaterform sieht sie vor allem in der unabhängigen Theaterszene: «Subventionen gibt es nur marginal. Mit sehr wenig wird versucht, sehr viel zu erzählen.» Und sie verweist auf eine andere Produktion aus Buenos Aires: Mario Pensottis «El pasado es un animal grotesco», die ebenfalls am Festival zu sehen sein wird und wie «Fiktionland» eine individuelle Geschichte mit der Realität ausserhalb des Theaters verbindet. Den Anspruch der gesellschaftlichen Aktualität stellt Beatrix Bühler an alle Produktionen von «Auawirleben». Denn die Festival-Inszenierungen sollen thematisch und ästhetisch neue Sichtweisen öffnen und in vorhandene Wahrnehmungen eingreifen.