In einer mehr oder weniger feuchtfröhlichen Runde des Aero Clubs in New York wird 1919 «die Bruderschaft der Lüfte» propagiert. Sie soll die Flugzeuge der USA und Europa miteinander verbinden, «nicht in Kriegs-, sondern in Friedenszeiten und dank regelmässiger kommerzieller Flüge über den Ozean». Der New Yorker Hotelbesitzer Raymond Orteig ist angetan von dieser Idee und bereit, tief in die eigene Tasche zu greifen. 25 000 Dollar (heute zirka 300 000 Dollar) soll derjenige Pilot von ihm erhalten, der als Erster nonstop von New York nach Paris über den Atlantik fliegt. «Einem Bauerntölpel aus Missouri», Charles Lindbergh, wird es acht Jahre später mit der Maschine Spirit of St. Louis gelingen.
Der 59-jährige US-amerikanische Sachbuchautor und Schriftsteller Joe Jackson hat sich mit «dem spektakulärsten Wettrennen aller Zeiten», wie es die «New York Times» damals bezeichnete, auseinandergesetzt. Er hat dabei weniger Lindbergh, sondern vielmehr das Tun und Wirken seiner Rivalen ins Zentrum gerückt.
Die grosse Konkurrenz
Gegen 16 erfahrene Piloten hatte der junge flugbegeisterte Lindbergh anzutreten: Zehn Amerikaner, vier Franzosen, ein Norweger und ein Russe. Diese Flugpioniere beherrschten Mitte der 1920er-Jahre mit unzähligen Abenteuern in ihren tollkühnen Kisten die Schlagzeilen der Zeitungen. Der damals 25-jährige Postflieger Charles Lindbergh aus St. Louis gehörte keineswegs dazu. Er hatte nicht nur weniger Flugerfahrung, er hatte auch eine schlechtere Ausrüstung als sie. Dafür die feste Überzeugung, «allein mit einer einmotorigen Maschine den Atlantik überqueren zu können».
Detailliert und bildreich erzählt Autor Jackson von den Träumen, den Erfolgen und dem Scheitern jedes einzelnen Konkurrenten. Denn: «Im Wettflug um die erste Direktüberquerung des Atlantiks gab es viele Wendepunkte, die von Glück und Pech bestimmt wurden.» Etwa jenen des grössten Favoriten René Fonck. Der Franzose galt als einer der besten Kampfpiloten des Ersten Weltkrieges. Sein überladenes Flugzeug brach allerdings beim Start im September 1927 auseinander.
Glücklos blieb auch Richard Byrd. Der US-Polarforscher, der angeblich 1926 bereits den Nordpol überflogen hatte, kam zwar bis Paris, konnte wegen des schlechten Wetters aber nicht landen und setzte seine Maschine an der Küste der Normandie buchstäblich in den Sand.
Noch spektakulärer verlief der Flug der ersten Frau im Rennen. Ruth Elder musste wegen eines Maschinenschadens vor den Azoren notwassern. Ihr Flugzeug verbrannte während der Rettung durch einen niederländischen Öltanker. Doch Elder gelang danach trotz oder gerade wegen der Bruchlandung der Durchbruch als Schauspielerin in Hollywood.
Verlorene Seelen
Zur Tragödie wurde der Flug der Franzosen Charles Nungesser und François Coli. Um Gewicht zu sparen, verzichteten die ehemaligen Kampfpiloten auf ein Funkgerät. Nachdem ihr Doppeldecker nach dem Start in Paris in der Normandie zum letzten Mal gesichtet worden war, blieb er verschollen. Skandalös war: In der französischen Zeitung «La Presse» war bereits ein Artikel über die vermeintliche Ankunft im fernen New York erschienen, da der Bericht vorab geschrieben worden war.
«Das Rennen um den Orteig-Preis war monströs, gefährlich und von Obsessionen besetzt, sodass keiner der Beteiligten unverändert blieb. Wenn der Pilot nicht starb, so verlor er zumindest die Seele», so das Fazit des Autors. Der immense Faktenreichtum sowie die unzähligen Akteure machen die Lektüre des 731-seitigen Werkes mit nahezu 100 Seiten Quellen- und Namensnachweisen zuweilen nicht ganz einfach. Es lohnt sich jedoch, dranzubleiben, denn selten wird der Zeitgeist zwischen den Kriegen so akribisch entschlüsselt.
Joe Jackson
«Atlantikfieber»
731 Seiten
(Mare 2013).
Transatlantik
Den ersten Transatlantik-Nonstopflug der Briten Jack Alcock und Sir Arthur Whitten Brown greift der irische Autor Colum McCann in seinem neuen Roman «Transatlantik» auf.
Die beiden Pioniere flogen 1919 nonstop von Neufundland nach Irland. McCann verwebt diesen und weitere historische Momente der irisch-amerikanischen Geschichte mit dem Schicksal dreier Frauen. Dabei blendet er bis ins Jahr 1845 zurück. Er spannt den Bogen vom Kampf gegen die Sklaverei in den USA bis zu den Friedensverhandlungen im Nordirland-Konflikt 1998.
Buch
Colum McCann
«Transatlantik»
382 Seiten (Rowohlt 2014).