In der Werkstatt im ersten Stock ist eine graue Küchenzeile schon fixfertig. Auf der Probebühne in der dritten Etage feilt das Schauspielensemble unterdessen noch heftig an Textpassagen. «Nicht zu huschig», ruft Regisseurin Katharina Rupp, «Zäsuren sind wichtig». Oder aber: «Da muss mehr Schwung in die Bude!»
Das Stück «Liebe Jelena Sergejewna» handelt von einer Lehrerin, die überraschend Besuch von vier Schülerinnen und Schülern erhält, die ihr zum Geburtstag gratulieren. Deren eigentliche Mission besteht aber darin, bessere Noten für ihre vergeigten Abschlussprüfungen zu erzwingen.
Atina Tabé (38), seit 2014 Ensemblemitglied am Theater Orchester Biel Solothurn (Tobs), spielt diese Lehrerin zunächst im Verteidigungsmodus. «Je weniger die Lage eskaliert, desto grösser schätzt Sergejewna die Chancen ein, dass ihre Schüler nicht ins Gefängnis müssen», erklärt sie. Für sie als Darstellerin bedeute diese Ruhe vor dem Sturm «ein Sammeln und Bunkern von Worten, bevor dann im zweiten Teil alles aus mir rausplatzt».
Das 1981 uraufgeführte Stück der lettischen Autorin Ljudmila Rasumowskaja, das auf die Leistungsgesellschaft zielt, könnte kaum aktueller sein. «Von Jugendlichen in meinem Umfeld höre ich, dass sie vor lauter Druck sogar auf dem Schulweg lernen müssen», sagt Tabé. Dabei sei es in ihrer Kindheit das Schönste gewesen, auch mal abzuschweifen und sich langweilen zu dürfen.
Mit ihrem Stück «Ferferi» sorgte sie für Furore
Wobei: Allzu friedlich erscheint Tabés Biografie nicht. 1986 ist sie mit ihren Eltern von Teheran nach Berlin geflüchtet. In ihren ersten Rollen sei sie konsequent als Ausländerin besetzt worden. «Erst unter Schauspieldirektorin Katharina Rupp hatte ich das Gefühl, wirklich gesehen zu werden und eine Wahl zu haben. Für mich als ‹Spielwütige› war das grossartig!» Und was verbindet sie mit ihrer Heimat Iran? «Wenn ich kann, gehe ich an Kundgebungen, auch mit meiner dreijährigen Tochter, die mindestens so laut schreit wie die Erwachsenen. » An eine Demo zu fahren, koste sie ein Zugbillett, im Iran koste es die Leute das Leben, wenn sie auf die Strasse gehen.
Tabé wirkt engagiert, auch was ihre Arbeitssituation betrifft. Dass sie sich als Ensemblemitglied die Stelle mit ihrem Mann Matthias Schoch teilen kann, rechnet sie dem Tobs hoch an. Wenn die Direktorin 2024 das Haus verlässt, gehen die beiden aber neue Wege. «Ich habe gerade das Schreiben für mich entdeckt», sagt Tabé. Eine glatte Untertreibung. Bereits 2022 hat sie mit ihrem ersten eigenen Stück «Ferferi», für das sie auch Illustrationen und Musik beisteuerte, an internationalen Festivals für Furore gesorgt. «Es ist toll, über einen längeren Zeitraum mit denselben Menschen zu arbeiten», resümiert sie. «Aber jetzt kommt wieder eine freie Phase.» Dazu strahlt sie übers ganze Gesicht.
Liebe Jelena Sergejewna
Premiere: Sa, 11.3., 19.00
Tobs Solothurn
Atina Tabés Kulturtipps
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«Lizz Wright singt nicht nur brillant, sie führt auch ein Restaurant in Chicago. Das Leben anderer Menschen mit Essen und Tönen zu versüssen, ist das Beste, was ich mir vorstellen kann. Ja, sie ist wohl die glücklichste Frau auf Erden. »
Mi, 19.4., 20.00 Kaufleuten Zürich
Kulturgespräch - Barbara Bleisch trifft Emilia Roig
«‹Why We Matter› war für mich ein sehr wichtiges Buch. Ich hoffe, an diesem Abend mehr über die Autorin und Aktivistin Emilia Roig zu erfahren.»
Do, 20.4., 20.00 Dampfzentrale Bern
Theater - Identitti
«Diese Autorin ist verdammt scharfsinnig! Ich freue mich, die Adaption des grossartigen Romans von Mithu Sanyal über Identitätspolitik nun auf der Bühne zu sehen.»
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