Eines Tages taucht das Mädchen Elsa auf. Sie kommt in die Welt der zwei Halbwaisen Karl und Lorenz Brauer, die mit ihrem Vater auf einem hotelähnlichen Hof in der Oberpfalz leben. Elsa wird von ihrer Mutter im Dorf dem Vater abgegeben, einfach so.
Nach ihrem Debütroman «Adams Erbe», der im Nationalsozialismus spielt, hat die in Berlin lebende 36-jährige Astrid Rosenfeld ihr zweites Werk «Elsa ungeheuer» im Heute angesiedelt. Sie erzählt von der «ältesten Rivalität auf der Welt», wie Rosenfeld sagt: Vom Buhlen zweier Brüder um die Gunst eines eigensinnigen Mädchens – Elsa.
Wildes Mädchen
Diese Elsa ist ein aussergewöhnliches Mädchen. Wild und unerschrocken. Offenbar ganz nach seiner Mutter geraten. Diese hat im Dorf einen zweifelhaften Ruf genossen und fast allen Männern den Kopf verdreht. Und auch Elsa – «mit Streichholzarmen und langem gelocktem braunem Haar» – weiss bereits im Alter von elf Jahren, mit ihren weiblichen Reizen zu spielen. Sie trägt am liebsten durchsichtige Blusen und hat eine Vorliebe für schöne Négligés. Elsa liebt auch Extravagantes: Um ihre Waden und Fesseln sind bunte Bänder gewickelt, geklaute Krawatten ihres Onkels, wie sich später herausstellen wird. «Ich schnüre sie mir um Waden und Fesseln, damit sie dünn werden. Wie bei Adligen», erklärt Elsa.
Um den Erzähler, den achtjährigen Karl, ist es bei der ersten Begegnung mit dem «Fabelwesen» Elsa geschehen. Das Mädchen fasziniert ihn, und er wird fortan alles versuchen, ihre Gunst zu gewinnen. Er beschafft Geld, kauft ihr teure Stiefel – und bleibt trotzdem ein ewig Verschmähter. Denn Karls grosser Bruder Lorenz ist bei allem einen Schritt voraus. Auch Jahre später, als Elsa aus dem Leben der beiden Brüder verschwunden und der Erzähler vom fetten Knaben zum hübschen Mann geworden ist: Karl wird immer im Schatten seines Bruders durchs Leben gehen. Denn Lorenz macht eine internationale Karriere als Künstler und ist in der Szene bekannt und gefeiert.
Die Eigendynamik, welche die Figur Elsa im Verlaufe des Romans entwickelte, überraschte selbst die Autorin, die sie schuf: «Es gab am Anfang zwar eine zweite Frauen-Figur, aber ziemlich schnell habe ich gemerkt, dass keine andere Frau neben Elsa bestehen kann», sagt Astrid Rosenfeld gegenüber dem kulturtipp. Noch nie habe sie eine fiktive Figur so deutlich, so klar vor Augen gehabt. «Ich konnte Elsa atmen hören.»
Exzentrisch
Kunterbunt und exzentrisch geht es im zweiten Teil des Romans weiter. In der Kunstwelt, in der sich die Brüder Karl und Lorenz bewegen, tummeln sich Menschen jeglicher Couleur. Ob Kunstkritiker oder -kenner, ob Maler oder Mäzene, alle sind sie auf der Suche nach Anerkennung oder nach einer Daseinsberechtigung.
Rosenfeld schafft es, diese Welt und ihre Macher in allen Farben und Facetten zu beschreiben. Sie erfindet Künstler, entwirft Gemälde in den absurdesten Formen. Und sie verliert trotz allem die Protagonisten nicht aus den Augen. Im Gegenteil, am Ende führt sie alle drei – einem letzten Pinselstrich gleich – kunstvoll zusammen. «Elsa ungeheuer» wird so zu einem Buch mit Gemäldecharakter.
[Buch]
Astrid Rosenfeld
«Elsa ungeheuer»
288 Seiten
(Diogenes 2013).
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