Immer mehr Kulturreisende meiden Venedig aus einfachem Grund. Die Touristenströme, die sich jahrein, jahraus durch die Lagunenstadt pflügen, werden dichter und länger. Dabei findet man mit Leichtigkeit Hinterhöfe, Kanäle oder ganze Plätze, auf denen ungestörter italienischer Alltag herrscht. Das Zauberwort heisst: Entdeckermut.
In Venedig gibt es auch nach mehreren Besuchen stets Neues aufzuspüren. Im spiralförmigen Labyrinth verstecken sich etwa unzählige Bars und Restaurants mit köstlichen und bezahlbaren Menus. Palazzi oder Kirchen zudem, die von den Massen gemieden werden, weil sie nicht direkt an den grossen Routen zwischen Bahnhof, Rialtobrücke und Markusplatz liegen. Eigentlich sollte man solche Orte niemandem verraten, zwei Dokfilmer tun es nun doch – wohl wissend, dass ihre Geheimnisse von den wenigsten wirklich gelüftet werden dürften.
Spuren aus vergangenen Zeiten
Der Franzose Alfred de Montesquiou, sonst als Reporter im Nahen Osten unterwegs, hat eine mehrteilige Dok-Serie zur Seidenstrasse gedreht. Er beginnt in Venedig, das seit der Antike in regem Kontakt mit Griechenland, dem Orient und dem Fernen Osten steht. Bis heute besteht ein Fährverkehr mit Patras auf dem Peloponnes, im Handelshafen Mestre liegen Schiffe aus aller Welt.
Als Seemacht trieben die Venezianer jahrhundertelang Handel, machten sich zu Eroberungszügen auf. Beides hat in der nordadriatischen Stadt Spuren hinterlassen, die noch immer zu sehen und spüren sind. Alfred de Montesquiou zeigt sie im Film: etwa die erbeuteten Pferde, die heute die Fassade des Basilica San Marco zieren, oder die Mosaike in deren Innern. Die farbigen Mosaiksteinchen werden übrigens bis heute in Venedig hergestellt. Auch die venezianische Küche duftet noch immer nach orientalischen Gewürzen.
Noch faszinierender ist die Dokumentation «Eine Nacht in Venedig» des italienischen Filmemachers Gabriele Cipolitti. Dieser setzt auf einen simplen Trick, den selbst findige Touristen kennen: Er wandelt durch die nächtliche Stadt und steht alleine auf dem Markusplatz oder der Rialtobrücke, wo sich tagsüber Zehntausende tummeln.
Cipolitti hat Zugang zu Zonen oder Inseln, die nachts gesperrt sind: etwa die riesige Anlage des Arsenale, wo seit der Antike Schiffe gebaut wurden und heute die Ausstellungen der Kunst- und Architektur-Biennalen gastieren.
Wo sich Helden versammelten
Er filmt in den Kerkern des Dogenpalastes und auf der Insel Torcello, wo Venedig entstanden sein soll. An all diesen Stationen erzählt Cipolitti Geschichten über die bekannten Helden Venedigs: Marco Polo, den ersten Weltreisenden, Komödiendichter Carlo Goldoni oder Jacopo Tintoretto, Malerfürst der venezianischen Schule.
Nach diesen Filmen reist man wieder gerne nach Venedig, offen für neue Entdeckungen. Im Winter übrigens hat die pulsierende Metropole einen ganz eigenen Charme, den Alfred Andersch in seinem Roman «Die Rote» so trefflich erfasst hatte.
Dokumentationen
Venedig – Das Tor zum Orient
Regie: Alfred de Montesquiou
Mo, 27.11., 17.10 Arte
Eine Nacht in Venedig
Regie: Gabriele Cipolitti
Mi, 6.12., 21.40 Arte