In vier Jahren gab es: einen Überstreichungsbefehl, zwei Rekurse, eine Petition, eine Motion im Gemeinderat, einen Verwaltungsgerichtsentscheid, zahlreiche Zeitungsartikel und Seitenhiebe an der Fasnacht. Alles wegen der Farbe einer Fassade. In Biel hatte ein Rentnerpaar sein Einfamilienhaus 2014 knallig orange gestrichen. Zu knallig für das Ortsbild, befand die Stadt – und forderte das Paar auf, der Fassade ihren ursprünglichen Braunton zu verpassen. Der Fall ist bis heute ein Politikum. Und es ist nicht das einzige dieser Art. In Olten stritt man über ein goldenes Dach, in Biasca über ein violettes Haus, in Uster über ein gelbes Restaurant.
Emotionales Thema mit Konfliktpotenzial
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat Farbe in der Architektur an Bedeutung gewonnen. Hausbesitzer wünschen sich für ihre Fassade zum Beispiel das Rot des Häuschens, in dem sie ihre Norwegen-Ferien verbrachten. Dank modernen, synthetischen Farben sind Wünschen keine Grenzen gesetzt – so prallt individueller Geschmack oft auf lokale Architekturtraditionen. Sprechen sich Behörden gegen den Anstrich einer Bauherrschaft aus, titelt die Boulevardpresse gerne: «Dieses Haus ist den Behörden zu bunt». Und in den Kommentarspalten von Online-Portalen enervieren sich Leserinnen und Leser über «Behördenwillkür». Farbe ist ein emotionales Thema, Farbe birgt Konfliktpotenzial.
Ein Farbinstrument als Regelwerk
Um dem Vorwurf der Willkür entgegenzutreten, arbeitet man im zürcherischen Uster seit 2015 mit einem Farbinstrument, welches das Bauamt mit einer Farbgestalterin entwickelte. «Oft unterschätzen Eigentümer die Wirkung eines Farbtons auf einer grossen Fläche», sagt Edith Stoll, Leiterin des Bereichs Architektur und Denkmalpflege bei der Stadt Uster. Ihr Farbinstrument wendet sie im Zentrum des Ortes als Regelwerk an, in den übrigen Wohngebieten als Orientierungshilfe. «Es geniesst grosse Akzeptanz, weil das zulässige Farbspektrum noch hinreichend Spielraum zulässt», sagt Stoll. Der Vorteil für die Stadt: Sie muss sich nicht vorwerfen lassen, über Genehmigungen würde subjektiv entschieden.
Den Ustermer Weg geht man mittlerweile auch anderswo. Zürich, Winterthur, Schaffhausen, Bougy-Villars und der Kanton Thurgau – sie alle liessen ihr Lokalkolorit untersuchen und für den Dialog mit Architekten und Bauherrschaften Farbkarten erstellen. Dafür arbeiteten sie mit dem Haus der Farbe in Zürich zusammen. Das Institut setzt sich seit 1995 für Gestaltungskompetenz in der Handwerks- und Baukultur ein. Marcella Wenger ist dort als Dozentin tätig und arbeitete an den Farbporträts mit. Die Farbgestalterin sagt, der Farbentscheid für eine Fassade müsse auf den Kontext eingehen: «Das ist wie in der Musik. Man kann auch einen Paukenschlag in eine feine Melodie komponieren, aber Zeitpunkt und Lautstärke müssen Sinn ergeben.» Ein Blick auf einige Ortsporträts zeigt, was Wenger meint: Die Farben in Schaffhausens Altstadt variieren, je nach Grösse der Gasse. Im Thurgau stehen Hanghäuser zwischen Feldern und Wiesen, die Komposition der Farbtöne wandelt sich mit den Jahreszeiten stetig.
Anhand eines Quartiers in Winterthur schliesslich widerlegt Marcella Wenger die Vorstellung, in der Schweiz dürfe nichts bunt sein: Auch heterogene Farbsituationen funktionierten, aber Architektur, Farbe und Material müssten sich an den einzelnen Häusern epochentypisch ergänzen. «Metallpaneele können orange sein. Dasselbe orange funktioniert aber nicht am Verputz des historischen Hauses nebenan.»
Ausstellung in der Villa Patumbah in Zürich
Den Blick für Farben schärfen möchte schliesslich auch das Heimatschutzzentrum in der Villa Patumbah in Zürich. In der aktuellen Ausstellung «Farbgeschichten» wandern die Besucher – vom Farbfächer geführt – Farbpunkten entlang. Der Blick auf die Deckenbemalungen lässt einen in die Geschichte kostbarer Farbpigmente eintauchen. Ein Besuch in der Farbküche lädt ein zum Kombinieren und Mischen von Farben. Und eine Leinwand mit Google Street View öffnet den Horizont: Die Bewohner von Albaniens Hauptstadt Tirana strichen ab 2000 ihre Häuser farbig, um die kommunistische Vergangenheit abzulegen.
Am interessantesten ist aber die Erkenntnis, dass Europa erst dank der Farbbewegung des deutschen Architekten Bruno Taut zu Beginn des 20. Jahrhunderts bunter wurde. Zuvor waren die Städte tatsächlich sehr oft einfach: grau.
Farbgeschichten
Bis So, 30.6.,
Heimatschutzzentrum Villa Patumbah Zürich