Im Lichtkegel ist ein Holztisch mit einem Teigklumpen zu sehen. Dahinter im Dunkeln steht Annina Mosimann und reisst den Teig stürmisch in Fetzen. Dann formt sie – die schwarzen Haare mit einer Mehlschicht überzogen – kleine Männchen daraus. Mosimann ist Puppentheaterspielerin. Doch statt mit Puppen erzählt sie ihre Geschichten mit Sauerteig.
Die Künstlerin, die bereits mit renommierten Puppenspielerinnen wie Élise Vigneron, Julika Mayer und Renaud Herbin arbeitete, feilt zurzeit an ihrem zweiten eigenen Stück und ist für den «Grünschnabel» nominiert, ein Nachwuchspreis im Figurentheater. Zum Interview mit dem kulturtipp kommt sie triefend nass, der Regen hat sie auf dem Velo erwischt. Nach- dem die Regenhose ausgezogen ist, setzt sie sich mit wachem und herzlichem Blick an den Tisch.
«Man erweckt Dinge zum Leben, die sonst tot sind»
Mosimann wollte bereits als Kind Künstlerin werden, wegen dem Malatelier ihrer Gotte. Das Kunststudium in Luzern brach sie jedoch ab und bereiste stattdessen Südamerika. In Ecuador trat sie einer Figurentheater-Compagnie bei, die sie zufällig kennenlernte. «Ich merkte, dass im Figurentheater alles möglich ist, was mich interessierte: bildende Kunst, Skulpturen, Tanz, Musik und darstellende Kunst.» Zurück in Europa studierte sie Figurentheater in Stuttgart.
Mosimann sagt, dass beim Figurentheater immer etwas Düsteres mitschwingt. «Man erweckt ja Dinge zum Leben, die sonst tot sind.» Die Arbeit mit Teig gefällt ihr, weil das Material sehr wandelbar ist und durch die Pilze und Bakterien eben nicht tot. Im Stück «Mycelium» geht es um nicht menschliche Organismen und den mütterlichen Körper.
Mosimann findet viele Gemeinsamkeiten zwischen Sauerteig und einem Mutterkörper: das Vermehrungspotenzial, die weiche Oberfläche, das Bedürfnis nach Ruhe und Nahrung. «Ein Teig fühlt sich auch ähnlich an wie ein Bauch, und über allem steht die Frage, wo ein Körper aufhört und der andere anfängt.» «Mycelium» ist ein sehr sinnliches Stück, bei dem Mosimann auch ihren eigenen Körper einbezieht.
Pilze bilden Geflechte und sind überall, ihr Verhalten wird aber noch nicht lange erforscht. Mosimann ist nicht die Einzige, die davon inspiriert ist. Die Musikerin Björk besingt die Mischwesen, und das schwedische Nobelpreismuseum widmete ihnen kürzlich eine Ausstellung. «Die Pilze erlauben einen Perspektivenwechsel», sagt Mosimann. «Unsere Körper bestehen aus unzähligen Mikroorganismen. Wir sind also kleine Universen.» Für die Bühne findet sie diesen «Mikroblick» sehr fruchtbar. Wenn sie einen Ofen zur Verfügung hat, backt Mosimann nach der Aufführung jeweils noch ein Brot aus ihrem Teig. Ansonsten kommt er in den Kompost.
Mycelium
Fr, 21.6., 18.00 Figurentheater Wettingen AG
www.figura-festival.ch
Annina Mosimanns Kulturtipps
Musik
Juana Molina:
Halo (Crammed Discs 2017) «Eine meiner absoluten Lieblingskünstlerinnen! Molina macht unglaublich vielschichtigen und mysteriösen experimentellen Pop.»
Theater/Zirkus
Cirque de Loin – L’homme n’existe pas
«Eine kraftvolle, wilde und anarchische Zirkusperfomance über Männlichkeit, in der alle Register gezogen werden.»
Ab Do, 11.7.
Holzpark Klybeck Basel
Ab Do, 22.8.
Färbi Festival Wetzikon ZH
Buch
Silvia Federici: Caliban und die Hexe (Mandelbaum 2004)
«Dieser Klassiker der feministischen Theorie beschreibt die Ausbeutung weiblicher Körper und ordnet die systematische Hexenverfolgung parallel zu der Entstehung des Kapitalismus ein.»