Mir eilt der Ruf voraus, alles reparieren zu können. Im Laufe meines Lebens habe ich auch wirklich so einiges repariert. Im Grunde bin ich Reparateurin, ja, ich denke, das darf ich so sagen.
Früher habe ich die Spielzeuge meiner Kinder repariert: einäugige Teddys, verbogene Kräne, erschlaffte Puppen. Ich habe verlorene Puzzlestücke nachgezeichnet, Schaukelpferde frisch aufgezäumt, Bilderbücher geleimt und Modelleisenbahnen neu lackiert. In einer grossen Box bewahrte ich alles auf, was sich zum Reparieren eignet. Bald lernte ich, dass gerade kaputte Sachen besonders nützlich dafür sind: abgerissene Knöpfe, Fetzen von Plüsch oder Filz, Einzelteile jeglicher Art. Kann man alles noch brauchen.
Ich nähte, klebte, flickte und lötete.
Bald erweiterte sich mein Zuständigkeitsbereich. Die Kinder wurden grösser und brachten mir nun auch ihre Mofas, Handyhalterungen, Eishockeyschläger und Campingkocher. Ausserdem reparierte ich Selbstzweifel, Schlaflosigkeit, Grössenwahn und allgemeine Verlorenheiten.
Im Freundeskreis sprach sich herum, was ich konnte. Ein Besuch bei mir bedeutete, einen Kaffee und eine Reparatur zu bekommen.
«Wärs okay, wenn du mal rasch meine Lesebrille stabilisierst? Die Bügel wackeln irgendwie.» Ich beugte mich über die Brille, während die Freundin mir von ihrer Affäre, der letzten Gemeinderatssitzung und ihrer Urlaubsplanung erzählte. Es war ganz einfach: Die winzigen Schrauben in den Scharnieren der Brille hatten sich gelockert. Mit meinem kleinen Schraubenzieher konnte ich sofort Abhilfe schaffen. Die Freundin setzte sich die Brille auf die Nase und lachte mich an.
«Wie machst du das bloss?»
«Ich habe das passende Werkzeug», sagte ich bescheiden. Und so war es auch.
Eine gute Ausstattung ist entscheidend. Aber man muss auch genau hinschauen. Bis heute begreife ich nicht, warum meine Freunde, die sonst alles analysieren und kommentieren, kaputte Dinge niemals genau anschauen. Kaputt, und das wars. Die lockeren Schräubchen: eine Einzelheit, eigentlich leicht zu bemerken. Was man sieht, das kann man auch reparieren. Meistens. Damals war ich noch auf nüchterne Weise hoffnungsvoll.
Inzwischen war Reparieren auch als Geschäftsidee in Mode gekommen.
«Mach einen Laden auf!», rieten mir alle. «Das wird sich ganz schnell rumsprechen.»
Jemand bot an, mir eine Webseite einzurichten; andere schlugen mir Immobilien und Businesspläne vor.
«Du kannst das ganz gross aufziehen!»
Von Upcycling war die Rede, von Nachhaltigkeit und Ressourcen. Ich war beeindruckt. Mehr Platz wäre wirklich nötig für meine Ressourcen, die Schachteln türmten sich inzwischen im Wohnzimmer, überall lagen Stapel mit Flickmaterial, Tuben, Scheren, Pinzetten und Kühlboxen für das weniger haltbare Material wie Fantasien, Schalk und Sturheit. Ich brauchte alles die ganze Zeit, weil so viele Anfragen kamen, und rannte zwischen den Tischen und Ablagen hin und her.
Aber Rennen ist nicht gut fürs Reparieren. Deswegen liess ich dann auch die Finger von einem Laden und gründete kein Business. Es war mir zu viel. Reparieren dauert so lange, wie es dauert. Man kann es nicht beschleunigen und nicht vervielfachen. Ich reparierte nur noch, was mir direkt vor die Füsse fiel. Wenn Leute mich baten, ihre Ängste oder ihre Kindheiten zu reparieren, sagte ich ab.
«Dafür bin ich nicht ausgebildet», sagte ich dann.
«Aber du bist ja sowieso nicht ausgebildet», meinten die Leute, «oder gibt es eine Ausbildung zur Reparateurin?»
«Sag ich ja», sagte ich.
Das ging eine Weile gut. Ich reparierte vor mich hin und betrachtete die geheilten Plastikdinosaurier, Lenkdrachen und Geduldsfäden nicht ohne Stolz.
Aber nun ist Sommer. So viel ist kaputt, und ich fühle mich zuständig. Alle, die ich kenne, klagen über zerfaserte Pläne, verrostete Fahrradketten, Angst, Hochwasser, gebrochene Herzen und die Ermüdung der Welt. Ich weiss ja, was sie von mir erwarten.
Ratlos irre ich zwischen den Kisten umher und suche Material. Ich versuche, meinem eigenen Rat zu folgen: kaputte Dinge genau anzuschauen. Kaputt ist nicht einfach kaputt. Sobald man sieht, was heil geblieben ist und was nicht, findet sich das passende Werkzeug.
Aber in diesem Sommer ist es anders. Vielleicht lässt meine Sehkraft ja auch nach. Die kaputten Stellen sind grossflächig, und ich kann nicht einfach alles verbinden. Ich wende den Sommer hin und her und weiss nicht, wo ich anfangen soll. Die Freunde gehen schwimmen und treffen sich im Biergarten. Alle laden mich zum Grillieren ein. Aber ich finde keine Ruhe, es gibt zu viel zu tun.
Abends bleibt es lange hell, ich höre die Stimmen auf den Strassen, Lachen und Plau dern, während ich mir Listen mache, was ich benötige und in wievielfacher Ausführung. Das Wort wievielfach, fällt mir auf, müsste eigentlich auch repariert werden, es klappert im Gelenk und wird nicht mehr lange halten.
Bald ist der Sommer vorbei, so geht es nicht weiter. Ich beschliesse, eine Pause einzulegen, und gehe hinunter. Draussen riecht es nach Staub und gemähtem Rasen. Ich setze mich vor das Haus. In der Sonne kneife ich die Augen zusammen und lehne den Kopf an die warme Hauswand. Auf dem Dachgiebel singt eine Amsel. Etwas Putz bröckelt mir in den Kragen. Vielleicht sollte jemand die Fassade reparieren. Aber nicht ich. Nicht heute.
In der Abendsonne fasse ich einen Entschluss. Ich werde das Reparieren nicht aufgeben. Das kann ich gar nicht, es ist ja meine Aufgabe. Aber ich werde mir helfen lassen.
Von den Amseln, den Dächern, den Wörtern und den Stimmen auf den Strassen.
Vielleicht geht es dann leichter.
Zur Person
Annette Pehnt, geboren 1967, lebt als Autorin in Freiburg im Breisgau und hat zahlreiche Romane und Kinderbücher veröffentlicht. Ausserdem leitet sie das Literaturinstitut der Uni Hildesheim. Zuletzt erschien von ihr der preisgekrönte Roman «Die Schmutzige Frau» im Piper Verlag.