Ich lebe mit meinem Feind zusammen. Wir haben ein schönes, hellgrau gestrichenes Reihenmittelhaus mit weissen Fensterläden, in dem ausser uns mehrere Kinder und Hunde leben, ausserdem ein Zwerghase.
Mein Feind wohnt unter dem Dach, ich im Keller. Wir haben den grösstmöglichen Abstand gewählt. Den Nichtangriffspakt haben wir vor sechs Wochen mit unserem Lieblingsweisswein begossen, den mein Feind, ein Weinkenner, einmal im Monat bei unserem Winzer am Ortsrand abholt. Der Dachboden ist warm und licht, der Keller gut belüftet, und die Miete werden wir wohl noch eine Weile zahlen können.
Kampfhandlungen finden nicht mehr statt. Aber wie das bei Kriegen so ist: Natürlich gibt es Erinnerungen. Leider haben wir niemanden, mit dem wir über die Schlachten, Siege und Verluste, die Wunden und Reparationen sprechen können. Es war ja niemand dabei.
In diesen Tagen kann es schon passieren, dass wir mit der Mischung aus Stolz, Wehmut und Verblendung, die Veteranen eben auszeichnet, ins Plaudern geraten. Wir treffen uns in der Mitte des Hauses und können nicht jeden Abend fernsehen, und zu jedem Krieg gehören die passenden Anekdoten, die immer wieder erzählt werden wollen. Aber da wir ja verfeindet sind, kommt das Gespräch schnell ins Stocken. Wir müssten uns darauf einigen, was geschehen ist. Wenn das möglich wäre, wären wir keine Feinde mehr. Weisst du noch, wie du mich an dem Abend mit unseren Gästen im Stich gelassen hast, sagt er und dreht das Weinglas zwischen den Fingern.
Im Stich gelassen, lache ich und nehme eine Salzbrezel, du bist lustig. Immerhin bin ich ja nicht weggelaufen. Aber ich habe mich gewehrt. Und weisst du noch, warum?
Wehren, wehren. Er schüttelt mitleidig den Kopf, als hätte ich einen sonderbaren Tick, den ich so schnell nicht abschütteln werde. Immer denkst du, du musst dich wehren. Darum bist du ja auch so aggressiv.
Schon sind wir in der Gegenwart. Weil ein Nichtangriffspakt sich mit Aggression nicht verträgt, merke ich an, dass Aggression mir fremd ist.
Mein Feind hebt spöttisch die Augenbrauen. Natürlich muss ich ihn nun darauf hinweisen, dass auch Spott eine Form von Aggression ist.
Möchtest du mein Gesicht kontrollieren, fragt er. Du könntest mir ja die Augenbrauen abrasieren, während ich schlafe.
Wir lachen, nicken uns zu, dann stehe ich auf und schaue nach den Kindern, die warm und struppig in ihren Betten liegen. Sie schlafen immer erst nach Mitternacht ein, weil sie nur im Garten spielen dürfen, was sie nicht ausreichend ermüdet.
Wenn sie uns doch einmal zu zweit am Küchentisch erwischen, fliegen ihre Blicke rasch zwischen uns hin und her, um die Lage zu sondieren. Sie haben fein ausgebildete Sensoren, die ihnen im späteren Leben zugutekommen werden, und ziehen sich bei den kleinsten Turbulenzen sofort zurück, um möglichst wenig Schaden zu nehmen.
Bleibt doch, rufen wir dann und springen auf, greifen nach ihnen und ziehen sie wieder zum Küchentisch, auf den Schoss, blasen ihnen in den Nacken, bis sie quietschen, kraulen ihnen die Köpfe und schieben ihnen Leckereien in den Mund. Wenn sie vergessen haben, dass sie fliehen wollten, lockern wir den Griff, scherzen mit ihnen und fragen sie, was sie zu Mittag essen möchten. Sie können nirgendwo anders hin, also sollen sie wenigstens das Essen aussuchen, darin sind wir uns einig.
In den Kriegsjahren haben wir uns angewöhnt, viel zu kochen, denn Kämpfer sind immer hungrig, und während der Mahlzeiten herrscht Waffenstillstand. Die Kinder haben immer gut gegessen, wir haben ihnen niemals den Appetit verdorben, auch wenn wir selbst manchmal nichts herunterbrachten. Mein Feind und ich haben darauf geachtet, uns mit dem Kochen abzuwechseln. Er kocht gross, freizügig, heiss und fettig, ich dagegen eher frisch, scharf oder bittersüss, die Kinder mögen sein Essen lieber. Es gehört sich nicht, darüber zu sprechen, und sie trauen sich nicht, ihn mehr zu loben als mich, zurückhaltend, wie sie sind, kleine blasse Diplomaten. Aber ich merke es doch daran, wie schnell oder langsam sie kauen.
Er benutzt viele Pfannen und Töpfe, hier brät etwas, dort schlägt die Sauce Blasen, im Ofen schmort es, kochendes Öl spritzt auf seine Schürze, aus deren bestickter Tasche verschiedene Löffel und ein Quirl ragen. Während er das Gemüse in grosse Stücke hackt und in den hinteren Topf wirft, rührt er im vorderen den Jus, greift links und rechts nach Salz und Rosmarin, ein schwerer Duft liegt in der Küche, und die Scheiben beschlagen, die Seiten des Kochbuchs sind fleckig und ölig.
Du bist der Feind, der am besten kocht, sage ich ihm, und er freut sich über mein Lob. Wenn ich danach spüle, kratze ich Schlieren von den Kacheln, spachtele angebrannte Reste von der Ceranplatte und weiche die Töpfe ein, während mein Magen schwer auf den Eingeweiden liegt und die Kinder hinten im Wohnzimmer mit ihm Flugzeug spielen: er auf dem Rücken, sie legen sich auf seine in die Luft gestreckten Beine, spreizen die Arme ab und recken die Köpfe in die Luft. Wenn ich das sehe, hoffe ich nur, dass niemand abstürzt.
Wenn ich koche, schneide ich alles in winzige Würfelchen, schwenke die bunte Mischung in heissem Öl und streue frische Kräuter darüber, die die Kinder später herauslesen und an den Tellerrand legen. Ich lasse es abkühlen, richte in kleinen Schüsseln frische Dips und Joghurt, fülle Saft in Gläser, lasse Eiswürfel springen und Minzblätter regnen. Es soll nicht aussehen wie Essen, sondern wie ein Picknick, ein rascher Einfall, eine frische Idee. Manchmal freut sich das Publikum über meine limettengrünen Servietten und die Leichtigkeit des Abends. Jedenfalls lege ich es darauf an. Inzwischen ist allerdings alles so fein ausgearbeitet, dass winzige Gesten genügen, um mich durchfallen zu lassen.
Wenn mein Feind dann später spült, muss er nur rasch die Teller unter den Wasserhahn halten, schon ist alles wieder verräumt.
Schnell kommt er zu uns ins Wohnzimmer, wo ich den Kindern Blätter auf dem Boden ausgebreitet habe, mit Farbstiften kritzeln sie gleich los, und wenn sie über den Rand hinausmalen, wischen wir es weg.
Annette Pehnt
Die Autorin, 1967 in Köln geboren, lebte in Irland, Schottland und den USA und schreibt für Erwachsene und Kinder. Seit 2001 hat Annette Pehnt zahlreiche Bücher veröffentlicht, die mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet wurden. Kürzlich ist ihr Roman «Alles was Sie sehen ist neu» im Piper Verlag erschienen. Inzwischen lebt die Schriftstellerin mit ihrer Familie in Freiburg im Breisgau und leitet seit 2018 in Hildesheim das Institut für Literarisches Schreiben & Literaturwissenschaft.