Mantel ab, Lesebrille auf. Ich, «Die BuchKönig bloggt», bin im Anmarsch. Ich bin Vertreterin einer neuen Spezies, die mit Leidenschaft, Kreativität und digitaler Durchschlagskraft den Literaturbetrieb auf Trab bringt. Dieser braucht nämlich frischen Wind. Weil die Buchumsätze stagnieren, Verlage eingehen, kleinere Buchhandlungen verschwinden und Feuilletons schrumpfen, wo oft nur Männer über Männer schreiben. Ups. Das hat die deutsche Studie #frauenzählen ergeben. Ob nun repräsentativ oder nicht, sei dahingestellt. Mehr als die Gender-Thematik beschäftigt mich nämlich eine andere Frage: Was können wir tun, dass wieder mehr Bücher gelesen werden? Denn Bücher öffnen den Blick, erklären einem die Welt. Ganzheitlicher und umsichtiger als das (Fake-)News-Gewitter auf Twitter und sonst wo im Internet.
Immer mehr Lesende wandern ins Internet. In die digitale Welt von Social Media, Newsportalen, Online-Foren, Chatrooms, Streamingdiensten. Verlage und Buchhandel haben das erkannt. Sie gehen online. Mit aufwendigen Buchtrailern, virtuellen Lesungen, E-Books und digitalen Hörbüchern. Auch Buchbesprechungen verschieben sich immer mehr von Print zu Online, von klassischer Rezension zu Blog. Das gefällt nicht allen gleich gut. Das Feuilleton sieht sich bedroht. Der weibliche, bloggende Plebs reklamiert den Thron. Doch keine Sorge, liebes Feuilleton. Ich als BuchKönig brauche keinen Thron. Ich habe schon einen. Er steht zu Hause in meinem Büro. Ein kitschiges Polsterding, blau, mit vergoldeten Arm- und Rückenlehnen. Und was meinen Nachnamen König angeht, auch da Fehlalarm. Ich habe kein blaues Blut. Ich verstehe mich eher als Anarchistin, die frei raus ihre Meinung sagt, als fröhlich mit dem Fähnchen Queen Elizabeth zuzuwinken. Aber ich schweife ab. Mäandriere assoziativ, werde persönlich. Das ist typisch Bloggerin.
Kürzlich hat die Redaktorin Pascale Blatter im Newsletter des Schweizer Buchhandels über einen Blogbeitrag von mir geschrieben: «Königs Exempel einer solchen Aufbereitung ist auf der Höhe der Zeit: persönlich und visuell, portioniert und pointiert.» So ein Lob freut mich natürlich. Aber was heisst eigentlich «auf der Höhe der Zeit»? Was unterscheidet Buch-Blog von Feuilleton-Kritik? Beginnen wir mal mit den Gemeinsamkeiten. Bei beiden geht es um Einordnung, Bewertung, Interpretation und Leseerfahrung eines Buches. Beides ist Literaturkritik, in unterschiedlicher Ausgestaltung. Im Feuilleton kommt sie oft wissenschaftlich fundiert, ernst, episch, anspruchsvoll und literarisch daher. Im Blog eher kurz, knackig, pointiert, unverblümt und umgangssprachlich. So wie wenn ich mich mit meiner besten Freundin oder meinem besten Freund in einem Café angeregt über ein Buch unterhalte. Im Blog wird auch ganz anders getextet: rasanter, persönlicher, assoziativer. Man verwendet Symbole, Emojis und Bildelemente. In meinem Blog sind das beispielsweise Wertungssymbole wie Kronen oder Daumen, ein Foto mit einer Buchinszenierung und eine Handskizze. Das setzt starke visuelle Reize. Man liest den Text aufmerksamer. Man bleibt länger dran. Die Bildelemente in Kombination mit einer pointierten Haltung und einem lebendigen Schreibstil scheinen zu unterhalten, Neugierde zu wecken und so die Lese-Lust zu steigern. Deswegen blogge ich, aber nicht nur. Der Blog als Textform liegt mir. Er lässt mir grosse Freiheiten. Ich kann mich in meiner ganzen Persönlichkeit entfalten und Meinung bekunden. Aber Meinung muss für mich zwingend nachvollziehbar und immer begründet sein. Subjektive Leseerfahrungen alleine reichen für eine Bewertung nicht aus. Das gilt sowohl für den Buch-Blog als auch für die Feuilleton-Kritik.
Wer meint, es werde nicht mehr gelesen, nur weil der Buchumsatz in der Schweiz in der Sparte Belletristik um einige Prozente gesunken ist, der soll mal auf Instagram gehen. So viele Buchbloggerinnen wie auf diesem Onlinedienst, wo Fotos und Videos im Zentrum stehen, habe ich noch nirgendwo sonst gesehen. Da werden Fotos gepostet, da wird geliked, ausgetauscht, kommentiert. Da werden Bücher aufwendig in Szene gesetzt. Mit einer unglaublichen Kreativität. Ich erfahre, was gerade läuft. Kürzlich habe ich mit Spannung die riesige Aufregung um den neuen Roman «Stella» von Takis Würger mitverfolgt. Als gut, unterhaltsam, trivial, platt, kitschig, schändlich, grottenschlecht wird er hier befunden. Würger erzählt in einem unterhaltsamen Ton die wahre Geschichte einer Jüdin, die in Berlin Greiferin war und Juden an die Nazis verraten hat. Uuii. Offenbar sticht da Würger in ein Wespennest. Oder wie seht ihr das? Sagt mir eure Meinung. Postet auf Instagram oder auf Facebook «Die BuchKönig bloggt», was ihr über «Stella» denkt. Ich freue mich auf eure Kommentare!
Vielleicht kommt euch dieser Aufruf etwas seltsam vor? Bloggen heisst eben auch, auf Augenhöhe interagieren. Ich als Buchbloggerin suche den Dialog, spreche euch direkt an. Eine Feuilleton-Kritik tut dies nicht. Sie ist one-way gerichtet und stellt ihre Leserschaft vor ein Fait accompli. Doch der Literaturbetrieb braucht beides: Buch-Blog und Feuilleton-Besprechungen sind Teile eines grossen Ganzen, das man Literaturkritik nennt.
Annette König
Die Bloggerin ist 1974 geboren, hat in Zürich Germanistik studiert und in Basel mit einer Dissertation abgeschlossen. Seit 2013 arbeitet sie als Literaturredaktorin bei SRF. In ihrem Bücher-Blog «Die BuchKönig bloggt» teilt sie ihre Lese-Leidenschaft mit allen, die Bücher lieben. Einmal wöchentlich schreibt sie über ein neues Buch: www.srf.ch/radio-srf-1/die-buchkoenig-bloggt