Es ist eine intensive Zeit, die Annette Bhagwati hinter sich hat. Erst im letzten November hatte die deutsche Ethnologin die Leitung des Museums Rietberg in Zürich übernommen. Wenige Monate später kam die Corona-Krise, und plötzlich war sie nicht mehr nur Museumsdirektorin, sondern auch Krisenmanagerin. «Man muss sich in solchen Zeiten sehr viel rascher und intensiver mit einem Haus auseinandersetzen», sagt sie.
Bhagwati ist an diesem Frühlingsnachmittag per Videochat aus ihrem Zuhause zugeschaltet. Während des Gesprächs wird man nichts vom Druck spüren, der gerade auf ihr lastet. Die Herausforderungen, vor denen Bhagwati steht, sind gross: Sie und ihr Team versuchen, das Rietberg trotz der Schliessung über Internet und Social Media für die Öffentlichkeit sichtbar zu halten. Dennoch betont sie vor allem die positiven Seiten der aktuellen Lage: «Man wächst sehr eng mit dem Team zusammen.»
Auseinandersetzung mit anderer Kunst-Vorstellung
Annette Bhagwatis Interesse an aussereuropäischer Kunst entstand schon in ihrer Kindheit. In Berlin, wo sie zunächst aufwuchs, nahmen ihre Eltern sie regelmässig mit ins Ethnologische Museum. «Dort gab es Räume zu Afrika und Ozeanien, in denen man Objekte anfassen durfte», erinnert sie sich. «Diese Auseinandersetzung mit einer anderen Kunst-Vorstellung, einer anderen Ästhetik, hat mich tief geprägt.» Später studierte sie in Berlin und London Ethnologie, Kunst und Literatur Afrikas und Kunstgeschichte. In den letzten Jahren war sie vor allem am Haus der Kulturen der Welt in Berlin tätig, wo sie Ausstellungen organisierte und im Bereich transkulturelles Kuratieren forschte.
Das Museum Rietberg ist für Bhagwati ein Wunscharbeitsort. Als sie sich mit der zeitgemässen Museumsarbeit zu befassen begann, besass das Haus den Ruf, wegweisend zu sein. «Mich beeindruckte der Ansatz des Rietbergs: Hier vernetzte man sich über Kooperationen, suchte den Austausch mit den Herkunftsgesellschaften – und erschloss so auch Objekte aus der Sammlung neu.»
Mit dieser Philosophie will sie das Museum Rietberg auch in die Zukunft führen. «Fiktion Kongo», die erste grosse Ausstellung, die unter ihrer Leitung eröffnete, sieht sie als guten Startpunkt. Die Schau sei in Zusammenarbeit zwischen Museum, kongolesischen Künstlerinnen und der Uni Zürich entstanden. Diesbezüglich sieht sie auch im digitalen Bereich Potenzial: «Es wird künftig möglich sein, Perspektiven und Stimmen aus den Herkunftsländern von Kunstwerken herbeizuziehen.» Die nächste grosse Ausstellung «Sehn-sucht Natur» musste Annette Bhagwati zwar auf den 11. September verschieben. Bis dahin wollen sie und ihr Team den Besuchern zumindest über die Rietberg-Homepage weitere Ein-blicke in die Sammlung bieten. Manchmal kommt die Zukunft eben schneller, als man denkt.
Rietberg Online
Videos zu «Fiktion Kongo» und andere Online-Projekte
www.rietberg.ch