Zerlina trägt Lederjacke und isst Gemüsesuppe. Zum Schluss eines munteren Gesprächs im Café der Berner Buchhandlung Stauffacher sagt sie halb beruhigt, halb überrascht: «Nach Persönlichem haben Sie gar nicht gefragt.» Es war unnötig. Wer ehrlich über Mozart-Opern spricht, gibt mehr von sich preis, als wenn er oder sie über die Farbe seiner Unterwäsche plaudert.
Seit 24. Februar ist Zerlina, beziehungsweise Anne-Florence Marbot, in Bern in Mozarts «Don Giovanni» zu sehen: Als Bauernmädchen also, dem der adlige Don Giovanni an die Wäsche geht und das Blaue vom Himmel verspricht. Glaubt sie daran? «Zerlina ist fasziniert von diesem schönen Mann, der ihr den Hof macht – das passiert ihr nicht oft. Von ihrem Bräutigam Masetto ist sie es nicht gewohnt, auf Händen getragen zu werden.»
Eine volksnahe Rolle
Man merkt, dass Marbot mitten in den Proben steckt und tief in die Rolle eingetaucht ist. Sie sagt auch mal «ich», wenn sie von Zerlina spricht, und sagt Dinge wie, «die Art und Weise, wie er mich verführt». Zerlina ist eine volksnahe und somit dankbare Rolle. Singt man sie bloss mässig, fällt es kaum auf; wird sie aber gut gesungen, sticht Zerlina beim Schlussapplaus die anderen Frauen aus. Marbot mag das nicht hören, obwohl sie es nicht bestreitet. «In unserer Produktion hat jede Figur ihren Charakter und somit eine Botschaft. Ich bin in dieser Inszenierung die jugendliche Strahlefrau, die Frohnatur.»
Der Duft der Freiheit
Als Frohnatur arbeitete Marbot acht Jahre lang wohlbehütet in zwei Opernensembles: Gleich nach dem Studium in Biel/Solothurn, danach in Bern. Sie schwärmt noch heute von der Intimität des Bieler Theaters und seiner familiären Stimmung. Im grossen Berner Stadttheater war sie viel mehr auf sich alleine gestellt. Das Gefühl, gehegt und gepflegt zu werden, war nicht mehr da. «Man ist Sängerin und hat zu funktionieren, wird zu einem Rad im Ganzen.» Als Berner Ensemblemitglied schlüpfte sie mehr oder weniger jeden zweiten Monat in eine andere Rolle – in welche, konnte sie nicht bestimmen. Das Mitspracherecht ist beschränkt, die Direktion entscheidet. Immerhin sichert der Gesamtarbeitsvertrag zwei Fachpartien pro Saison zu. Aber jedes Ensemblemitglied weiss: Für Hauptrollen werden oft Gäste engagiert.
Vor einem Jahr, gerade noch rechtzeitig, bevor Marbot zum Berner Theaterinventar wurde, tat sie den entscheidenden Schritt in die Freiheit: Sie wurde freischaffende Sängerin. Die Sopranistin wollte selbst entscheiden, welche Rollen sie wo singt. Sie verliess Bern nicht aus Groll, sondern weil die Zeit reif dafür war. Die Ensemble-Jahre waren wichtig für ihre Karriere. «Ich habe dabei mein Handwerk gelernt – querbeet.» Nach den acht Jahren im Ensemble-Leben war aber der Schritt ein klares Signal: «Opernwelt, schau her, engagiere mich!», schien die Bernerin zu sagen. Von Welt will Marbot aber (noch) nicht reden. Ihr Ziel ist es, pro Saison ein bis zwei Opernproduktionen zu singen. Nebenbei will sie viele Konzerte geben. An ihrer Agentur ist es jetzt, sie zu verkaufen. «Haben Sie eine Sopranistin mit einer leichten, beweglichen Stimme?», heisse es dann. Oft gebe man auch zu verstehen, wie die Sängerin auszusehen habe. «Beim Vorsingen stehe ich mit 15 Konkurrentinnen auf der Bühne – 15 Sopranistinnen, die mehr oder weniger gleich sind wie ich. Wenn ich es nicht schaffe, eine spezielle Note einzubringen, werde ich kaum ausgewählt.»
Rollen, die sie noch nie gesungen hat, gilt es nun vorzubereiten, wenigstens die Arien auf Abruf bereit zu haben. «Man weiss nie, wann das nächste Angebot kommt.» Offen ist Marbot nicht nur im Repertoire, sondern auch für moderne Regie-Strömungen, die in Bern nur ansatzweise gepflegt wurden.
Neue Herausforderung
«Die moderne Regie wäre für mich eine neue Herausforderung. Dann könnte ich ganz anders als im traditionellen Theater spielen.» Für Arbeiten der «Basler» Regisseure wie etwa Calixto Bieto wäre die Sopranistin mit klassischer Tanzausbildung sofort zu haben.
Trotz des verführerischen Duftes der Freiheit, trotz der kommenden Angebote bleibt der Schritt ein Risiko. Weiter als zwei Jahre voraus kann Marbot nicht schauen. Immerhin: Für das neue Leben aus dem Koffer ist sie bereit. «Ich habe keine Familie, habe keine Kinder: Also wird es möglich sein wegzufahren. Ich lasse mich auch gerne überraschen.»
Vorerst steht die nächste Berner Opernprobe an. Und Don Giovanni singt: «La ci darem la mano» – «Reich mir die Hand, mein Leben». Zerlina wird antworten. «Ach soll ich wohl es wagen? Mein Herz, oh sag es mir!»