Anna Stern ist eine von drei Schweizer Autorinnen, die dieses Jahr ans Bachmann-Wettlesen nach Klagenfurt reisen. Sie studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich und doktoriert zurzeit am Institut für Integrative Biologie. Für sie ist es ein Privileg, zugleich in Literatur und Naturwissenschaft unterwegs zu sein. «Es wäre für mich schwierig, mich allein auf die Literatur zu beschränken – genauso, wie mich allein auf die Laborforschung zu beschränken.» Beide Bereiche sind für sie symbiotisch.
Wie muss man sich das vorstellen? «Plane ich ein Laborexperiment, braucht das Kreativität. Ich will ja nicht repetieren, was schon gemacht wurde.» Es erfordere Flexibilität und Fantasie, «zu verbinden, was auf den ersten Blick keinen Zusammenhang hat: Autorinnen tun dasselbe. Das Disparate verbinden.»
Im Labor läuft David Bowie
Dabei war für Stern nicht von Anfang an klar, dass sie Naturwissenschafterin werden will. Sie studierte ein Semester lang Germanistik und Skandinavistik. Jedoch: «Es bereitete mir Mühe, ständig zu interpretieren ohne Ziel und entdeckbare Wahrheit.» An der Naturwissenschaft schätzt sie die Gesetzmässigkeiten, das Orientierungswissen und die Verlässlichkeit.
Das Gespräch kommt auf die Musik, denn sie betreut eine Spotify-Playlist. Ob sie Musik höre beim Schreiben? Nein: «Meistens arbeite ich in der relativen Stille meines Kopfes. Ich bin dann im Text, höre, fühle, schmecke mit meinen Figuren; Hintergrundmusik wäre Ablenkung.» Anders im Forschungslabor. Dort gilt: Wer zuerst dort ist, bestimmt die Musik. Weit oben auf ihrer Playlist steht David Bowie.
Stern hat Bowie eine Kurzgeschichte gewidmet: «Mathildes Freude war gross, als kurz nach Jahresbeginn endlich Davids lang ersehntes Album ‹Blackstar› erschien», heisst es in «The Protector». Und damit ist die erste aller Literaturberichterstattungs-Gretchenfragen angesagt: Wo kommen ihre Ideen her? – «Das kann ich nicht beantworten. Schreiben ist für mich eine Möglichkeit, Bilder, die sich im Kopf abspielen, zu platzieren. Nicht mehr darüber nachdenken zu müssen. Und gleichzeitig Platz zu machen für neue Bilder.»
Ein wiederkehrendes Bild in ihren Texten sind Fluss, See und Meer. Das Wasser in allen seinen Formen fasziniert die gebürtige Rorschacherin. In «Le vent nous portera» führt sie den Leser an den Ort, wo Horizont und Meer verschwimmen – und dann ihren Protagonisten dorthin, wo Meer und Körper eins sind. «Wasser hat nicht nur naturwissenschaftlich faszinierende Eigenschaften, es macht uns Menschen, etwa in Form von Überschwemmungen, auch immer wieder deutlich, wie unbedeutend wir sind: Wir beherrschen das Wasser nicht und wir werden es nicht beherrschen.»
Anna Sterns Kulturtipps
CD
Brian Eno: «Reflection»
«Brian Eno trägt mich so zuverlässig wie kein anderer aus dem Hier weg, an einen Strand zwischen Himmel und mehr, an dem mir, wenigstens stundenweise, die Welt gehört.»
(Warp Records 2017)
Buch
Howard Norman: «My Darling Detective»
«Normans Eigenart, das alles auf den Kopf stellende Ereignis bereits im ersten oder zweiten Satz einzuführen, nimmt seinen Werken nichts von ihrer Intensität – ja, sie potenziert sie.» (Houghton Mifflin 2017)
Film
Nicolas Roeg: «Der Mann, der vom Himmel fiel»
«Niemand ist so schön einsam, so schön ausserirdisch, so ausserirdisch schön wie David Bowie als Thomas Jerome Newton.» (1976)