Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die beste Sopranistin im ganzen Land? Seit es Oper gibt, wird über die «Primadonna assoluta» wild diskutiert: Renata Tebaldi oder Maria Callas? Anna Netrebko oder Angela Gheorghiu? Es liegt in der Natur einer Operndiva, sich dieser Diskussion zu stellen. Und doch hat Anja Harteros gerade das nicht getan.
Kaum einer kennt Harteros, obwohl sie im grossen Diven-Rating des einflussreichen Fachblattes «Fono Forum» alle hinter sich liess. Im Opernhaus Zürich sang sie im März zum ersten Mal. Als Elisabetta in Verdis «Don Carlo» schritt sie vier Stunden lang stolz wie eine griechische Göttin über die Bühne. Erst im weltgelösten Schlussduett durfte sie weinen – vom Glück singen: Das machte sie sicher, mit Detailverliebtheit und mit so lyrisch-schön ausgesungenen Tönen, dass ihr am Ende der Vorstellung sogar der sonst zurückhaltende Chor applaudierte.
Wieder in Zürich
Im Januar wird sie wieder in Zürich singen (Elisabeth in Wagners «Tannhäuser»), doch zu hause ist Anja Harteros seit zehn Jahren in New York, Berlin, Mailand und Salzburg. Dort beglückt sie mit ihrem breit flutenden und beweglich warmen Sopran die Opernfans. In Mailand wird ihr die Ehre zuteil, am 7. Dezember zusammen mit Jonas Kaufmann die Saison zu eröffnen – die Opernnacht der Opernnächte, wo der Parkettplatz 1500 Euro kostet. Daniel Barenboim wird Richard Wagners «Lohengrin» dirigieren.
Warmer Empfang
Herzlich begrüsst die Primadonna den Journalisten an der Zürcher Opernpforte um 10 Uhr morgens – keine Diven-Zeit! Ohne Manager oder andere Aufpasser gehts hinauf in die Garderobe, wo die Tochter eines griechischen Vaters und einer deutschen Mutter erst mal einen Schluck Wasser aus der Flasche nimmt: «Pardon, nicht eben vornehm», sagt sie und meint es eher ernst als im Spass.
Dass nun «Fono Forum» geschrieben habe, sie sei die beste Sopranistin, freut sie. Trotzdem macht sich die 40-Jährige darüber keine Gedanken. «Singen hat viel mit Individualität zu tun, wir messen nicht wie ein Sportler die Zentimeter.» Selbst wenn es hohe und tiefe Töne zu treffen und schöne Legati zu bilden gelte, also durchaus etwas festzumachen sei, spiele das subjektive Empfinden der Zuhörer stark mit. Zumal es viele gute Gründe für persönliche Vorlieben für einzelne Sängerinnen gäbe.
Doch die Diskussion um den Diven-Thron kommt nicht von ungefähr. Nach der Jagd um den Tenor-Thron der 90er-Jahre gibt es heute dank Anna Netrebko, Natalie Dessay, Renée Fleming, Simone Kermes, Diana Damrau, Cecilia Bartoli, Angela Gheorghiu oder Anja Harteros wieder einen Diven-Kult. Da werde ein Status aus kommerziellen Gründen gesucht, weil sich CDs besser verkaufen liessen. «Und in der Werbung muss ich nun mal sagen: ‹Die ist die Beste.› Ich kann nicht sagen: ‹Die ist schlechter.›»
Hohe Ansprüche
Alle Aufgezählten – und viele mehr – haben Exlusivverträge bei grossen Plattenfirmen ausser Anja Harteros – einzelnen Einspielungen oder DVDs zum Trotz. 2007 nahm sie zwar mit Sony einen Anlauf. Nach dem Start war jedoch wieder Schluss. «Ich sträubte mich innerlich immer gegen die Promotionsbemühungen, auch gegen die Interviews. Ich war überkritisch, zu vorsichtig. Das fanden die wohl schwierig.»
Das Kapitel Sony ist abgeschlossen. Doch es erstaunt, dass nicht ein anderes der grossen Label, allen voran die Deutsche Grammophon, diese deutsche Netrebko unter Vertrag nimmt: Die «beste Sopranistin» und noch dazu eine so schöne Frau. Plattenfirmen müssten sich jedoch im Klaren darüber sein, dass sie kein Küken engagieren.
Harteros weiss um ihre Qualität, sagt aber höflich: «Eine junge Sängerin kann man noch formen, und die ist dankbar, dass sie gefördert wird. Das war bei mir nicht unbedingt der Fall.» Und so hat sie denn hohe Ansprüche ans Orchester, an den Dirigenten, ans Prozedere. Diese Ansprüche führten schon dazu, dass sie populäre Konzerte für sechsstellige Beträge ablehnte. «Eine gewisse Qualität muss gewährleistet sein. Sensation allein muss ich nicht haben.»
Keine Allüren
Eine solche Künstlerin kann über die Allüren, von denen sie vermeintlich frei ist, tatsächlich nur lächeln. «Was soll ich denn für Allüren haben?», fragt sie. «Ich habe heute Abend eine Rolle zu erfüllen, da gibt es so viel darüber nachzudenken, dass meine Person keine Rolle mehr spielt.»
Sie bedankt sich höflich für das Gespräch und schliesst die Garderobentür. Vor dem Gang zur Probe wird sie in den Spiegel geschaut, aber dabei kaum an Konkurrentinnen gedacht haben.
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Von ewiger Liebe
Lieder
(Berlin 2009).
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Bella voce
Mozart, Haydn
(Sony 2006).
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