«Es war einmal …» Die bekannte Märchenformel wird auch im Film «Das kostbarste aller Güter» verwendet, aber hier hat sie einen speziellen Zweck: Es geht um ein armes Holzfällerehepaar, das in der Nähe einer Bahnstrecke lebt. Während der Mann bei der Arbeit ist, leidet die Frau unter ihrer Einsamkeit. Seit das gemeinsame Kind tot ist, herrscht in ihr Leere. Regelmässig betet sie deshalb zu einer Zug-Gottheit, diese möge ihr bei der Vorbeifahrt doch etwas Kleines überlassen.
Mehr Märchen geht nicht, das wird im ersten Animationsfilm von Michel Hazanavicius bald klar. Der französische Regisseur war bis anhin eher für unterhaltsame Kost zuständig: Seine Agentenparodien («OSS 117») sind zum Brüllen komisch, die Stummfilm-Hommage «The Artist» holte 2011 fünf Oscars. Da kommt der Wechsel ins ernste Fach, mit kunstvollen Animationen in verwaschenen Grautönen, überraschend.
Das Herz der «Herzlosen» schlägt
Das gilt auch für den Fund der Holzfällerfrau. Eines Tages findet sie an der Bahnstrecke ein Baby, das sie gegen den anfänglichen Widerstand ihres Gatten grosszieht – auch dank der Hilfe eines kriegsversehrten Nachbarn, den sie um Ziegenmilch bittet. Spätestens da wird aufgrund zahlreicher Indizien klar, dass wir uns in der Nähe von Auschwitz gegen Ende des Zweiten Weltkriegs befinden.
Unter den Holzfällern redet man von den «Herzlosen», einer andersartigen Rasse, die in den Zügen untergebracht sei. Sie wissen nicht, dass es um Deportation und Vernichtung geht. Umso erstaunter reagiert der Holzfäller, als er entdeckt, dass das Herz seines herzlosen Mädchens tatsächlich schlägt.
Regisseur Michel Hazanavicius gelingt mit diesem Animationsfilm, der auf dem Roman von Jean-Claude Grumberg basiert, ein berührendes Märchen über Vorurteile und Nächstenliebe. Gewöhnungsbedürftig sind höchstens der zum Kitsch neigende Soundtrack (Alexandre Desplat) und das etwas abrupt wirkende Finale.
Das kostbarste aller Güter
Regie: Michel Hazanavicius
F/Belgien 2024, 81 Minuten
Ab Do, 6.3., im Kino