Angelika Overath Im Takt der Jahreszeiten
Die Autorin Angelika Overath ist mit ihrer Familie von der deutschen Stadt Tübingen ins Bündner Bergdorf Sent gezogen. Im poetischen Tagebuch «Alle Farben des Schnees» berichtet sie von der neuen Heimat.
Inhalt
Kulturtipp 03/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Babina Cathomen
«Es schneit. Schnee wie Stille. Schnee wie Auslöschen. Keine Berge mehr. Schnee des Verschwindens. Schnee fällt wie Flimmern. Dahinter Helle. Milchig, warm.» Die deutsche Autorin Angelika Overath versteht es meisterhaft, mit wenigen Worten Atmosphäre einzufangen. Im «Senter Tagebuch» ist die Handlung nebensächlich – und dennoch vermag die Ereignislosigkeit wie bereits in ihrem letzten Roman «Flughafenfische» zu fesseln. Die Eintr&a...
«Es schneit. Schnee wie Stille. Schnee wie Auslöschen. Keine Berge mehr. Schnee des Verschwindens. Schnee fällt wie Flimmern. Dahinter Helle. Milchig, warm.» Die deutsche Autorin Angelika Overath versteht es meisterhaft, mit wenigen Worten Atmosphäre einzufangen. Im «Senter Tagebuch» ist die Handlung nebensächlich – und dennoch vermag die Ereignislosigkeit wie bereits in ihrem letzten Roman «Flughafenfische» zu fesseln. Die Einträge datieren vom 1. September 2009 bis 1. September 2010: In dieser Zeitspanne lässt die Autorin die Leser im Rhythmus der Jahreszeiten teilhaben an ihrem Leben in der Engadiner Gemeinde Sent auf 1450 Metern über Meer – einem Dorf mit rund 900 Einwohnern, einem Dorf, wo 6 Monate Schnee liegt.
Zusammen mit ihrem Mann und ihrem jüngsten Sohn hat Overath vor drei Jahren den grossen Schritt gewagt und den Ferienort zum Heimatort gemacht. Dass dies auch mit Hindernissen verbunden ist, zeigen zum Beispiel ihre Notate zur Sprache der Einheimischen, dem rätoromanischen Idiom Vallader. Den Zugang findet sie schliesslich über die Lyrik. «Poesias dals prüms pleds» – «Gedichte aus den ersten Wörtern» – nennt sie ihre lyrischen Sprachspielereien. Und so überwindet sie langsam das «unsichtbare Sprachschild des Dorfes», kommt mit den Nachbarn ins Gespräch, erfährt Dorf- und Migrationsgeschichten und lernt die Künstler der Region kennen. Historische Fakten vermischen sich mit Alltagsbeschreibungen oder Dokumentationen von Ritualen wie Chalandamarz. Nebenbei gewährt sie einen sehr persönlichen Einblick in das Leben einer Schriftstellerin, die zwischen Natur und Dorf sowie Lesungen und Vorträgen in der ganzen Schweiz und im Ausland pendelt. Immer wieder stellt sie sich die Frage nach Heimat und Fremde, Identität und Entwurzelung.
Ihre grösste Stärke zeigt sich aber dort, wo sich die Poesie entfalten kann und Sent mit allen Sinnen spürbar wird. Etwa durch die schier unbegrenzten Farbvariationen des Schnees: «Schneeschatten, bläulich, grau, rosa, pfirsich.» Dennoch verklärt Overath nicht. Stets präsent ist auch der Gegensatz zwischen unberührter Natur und Tourismus. Ein stilles Buch zum Zurücklehnen und Geniessen.
[Buch]
Angelika Overath
Alle Farben des Schnees.
Senter Tagebuch
256 Seiten (Luchterhand 2010).
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