«ANGÈLE ET TONY» Die Liebe der Menschen am Meer
Regisseurin Alix Delaporte taucht ein in die raue Fischer-Welt an der normannischen Küste und lässt zwei ungleiche Menschen zueinanderfinden.
Inhalt
Kulturtipp 15/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Urs Hangartner
Beinahe könnte man in Anlehnung an das Märchen vom «Fischer und seiner Frau» schreiben. Denn märchenhaft geht alles zumindest zu Ende, auch wenn es lange gar nicht so aussieht. Und auch wenn der Film der französischen Regisseurin Alix Delaporte während des Grossteils der eineinhalb Kinostunden genug herben Realismus aus der Arbeits- und der Liebeswelt bereithält.
Die Menschen arbeiten im Norden Frankreichs. Im kleinen Fischerort Port-en-Bassin am...
Beinahe könnte man in Anlehnung an das Märchen vom «Fischer und seiner Frau» schreiben. Denn märchenhaft geht alles zumindest zu Ende, auch wenn es lange gar nicht so aussieht. Und auch wenn der Film der französischen Regisseurin Alix Delaporte während des Grossteils der eineinhalb Kinostunden genug herben Realismus aus der Arbeits- und der Liebeswelt bereithält.
Die Menschen arbeiten im Norden Frankreichs. Im kleinen Fischerort Port-en-Bassin am Ärmelkanal in der Normandie (Département Calvados). Die verschlossene Angèle (Clotilde Hesme) hat einen Hilfsjob im Supermarkt. Sie zeigt sich als libertinäre Nonkonformistin und klaut auch mal spontan ein Velo. Angèle ist auf der Suche, sie, die aus dem französischen Süden in den Norden gezogen ist, gerade hierher, wo ihr kleiner Sohn Yohan bei den Schwiegereltern lebt. Das Sorgerecht haben provisorisch Yohans Grosseltern. Angèle dagegen will ihrerseits sozusagen «bürgerlich» werden und (wieder) eine Familie. Sie gibt eine Kontaktanzeige auf, und ihr Geheimnis aus der Vergangenheit verrät sie teilweise beim ersten Treffen mit dem Fischer Tony (Grégory Gadebois von der Comédie Française bei einem Abstecher in die Filmwelt). Wo denn Yohans Vater sei, fragt er. «Tot», lautet die Antwort von Angèle, «ein Unfall – deshalb war ich im Knast.»
Mit Hintergedanken
Die ehrliche Absicht, einen Mann fürs Leben zu finden, ist freilich mit dem Plan verknüpft, dank solch geregelter Verhältnisse das Sorgerecht für Yohan zu erhalten. Angèle quartiert sich bei Tony ein, der mit der Mutter und dem etwas hitzköpfigen Bruder Ryan unter einem Dach lebt. Zwei, die im Grunde so gar nicht zueinanderpassen wollen, nähern sich allmählich doch an. Aber zuerst heisst es arbeiten: Angèle wird geduldig in Fischkunde eingewiesen, damit sie sich auf dem Markt nützlich machen kann.
Alles scheint gut
Zusammen mit den übrigen Fischer-Frauen übt sich Angèle auch quasi in Integration, wenn sie sich für das Festival der Kleinfischer am Basteln der Blumengirlanden für Strassen und Boote beteiligt. Es scheint, es könne gut kommen mit Angèle. Derweil Tonys Familie ihrerseits einen Vergangenheitsschatten noch nicht losgeworden ist: Ryan versucht nach einem halben Jahr immer noch, den vermissten Vater mit Hilfe von Tauchern im Meer zu finden. Und aktuelle Unbill: Arbeitskampf zwischen den Fischern und den Behörden, mit handgreiflichen Polizeieinsätzen. Tony wird einmal verhaftet, weil er aus Protest Fische vor dem Rathaus deponiert. Auf der Wache gibt Angèle sich als seine Frau aus, die sie nicht ist.
Doch sie werden heiraten, die eher still-wortkargen Menschen in der rauen Normandie-Welt. Yohan hat gewünscht, zur Hochzeit kommen zu können. Nach der Trauung hat er eine Fachfrage an Tony, den neuen Stiefvater: «Tut es weh, wenn einen eine Krabbe beisst?» Wortlos bittet Tony den Kleinen und Angèle ins Auto und fährt ans Meer. Um hier am Ebbe-Strand mit der neuen Familie die Frage zu beantworten. Ganz zum Schluss, ein allererstes Mal im ganzen Film, sieht man die verschlossene Angèle stumm lächeln.