Lange galt er als vergessen. Jetzt soll Andreas Walser, der 1930 erst 22-jährig in Paris verstorbene Künstler aus Chur, wiederbelebt und einem jungen Museumspublikum vermittelt werden. Dies auf unkonventionelle Weise, betont Stephan Kunz, Direktor des Bündner Kunstmuseums in Chur: «Wir machen keine klassische Ausstellung. In eine eigenwillige Atelier-Inszenierung werden Programme mit Lesungen, Konzerten und Szenerien integiert.»
Die Idee zu diesem Projekt ist im Gespräch mit Vera Kappeler entstanden. Die Basler Musikerin, die im bündnerischen Haldenstein lebt, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Leben und Werk Andreas Walsers. «Sie kennt ihn wie kaum sonst jemand», sagt Kunz. Und Kappeler bestätigt ihre umfassende Leidenschaft für Walser: «Mich faszinieren seine Bilder, seine Briefe und Kurztexte, aber auch sein Wesen. Als junger Künstler in den 1920er-Jahren bewegte er sich inmitten der Pariser Avantgarde, ging aber seinen eigenen Weg.»
Als Pfarrerssohn 1908 in Chur geboren, fiel Andreas Walser als hochsensibles Kind auf. Mit 20 zog er nach Paris und fand sogleich Kontakt zu Künstlern wie Jean Cocteau, der Schriftstellerin Colette oder Klaus Mann. Pablo Picasso wurde ihm zum wichtigsten Mentor neben Ernst Ludwig Kirchner, der damals schon in Davos wohnte (Seiten 6/7). «Auffallend ist, dass der adoleszente Walser all diese Einflüsse aufsog, ihnen aber Eigenes entgegensetzte», sagt Kappeler.
Poetische Hommage an einen Vergessene
Walser malte wie besessen, schrieb unermüdlich Briefe und Aphorismen. Dieser Schaffensrausch wurde ihm zum seelisch-körperlichen Delirium: Er verbrachte die meiste Zeit in seinem Atelier und malte seinen Balkon. Er trank Unmengen Kaffee und Alkohol. Hinzu kamen andere Drogen sowie manisch-depressive Schübe. «Er glühte wie ein Komet», bringt es Vera Kappeler auf den Punkt. Mit 22 starb Walser – unter bis heute ungeklärten Umständen.
Der in der Folge vergessene Künstler wurde erst nach 1980 wieder entdeckt – mit Ausstellungen in Chur, Winterthur, Davos und Paris. Die neuerliche Schau soll Walsers multiples Wesen illustrieren. «Mein Ansatz ist nicht dokumentarisch», betont Vera Kappeler. «Es geht mir um eine poetische Hommage.»
Hierfür hat sie aus den Walser-Beständen des Bündner Kunstmuseums eine Auswahl an Gemälden und Zeichnungen getroffen, die im «Labor» gezeigt werden. Aus diesem gestaltet Bühnenbildner Duri Bischoff ein Kabinett mit Atelier-Impressionen. Darin lässt Kappeler im Laufe der Ausstellung auch Musiker, Kunstschaffende sowie Jugendliche aus Chur auftreten, die eine Gesamtcollage aus Raum, Bildern, Texten und Musik schaffen.
Walsers Werk sei kaum einzuordnen, erklärt sie. Stilistisch weise es Merkmale des Kubismus ebenso auf wie Elemente des Surrealismus oder Expressionismus. «Wie sein Leben hat es etwas Flüchtiges, Lückenhaftes, Bewegtes. Einen Rhythmus, der inspirierend wirkt», sagt Kappeler, die sich als Pianistin in Grenzbereichen zwischen Jazz, Klassik und Improvisation bewegt. «Ich habe zur Bespielung des Kabinetts Kollegen eingeladen, die solche Inspirationen aufnehmen wollen und können.» Darunter finden sich Jazzmusiker wie Saxer Tobias Meier, Pianist Marc Méan oder Perkussionist Christian Wolfarth. Kappeler selbst tritt mit Sängerin Irina Ungureanu oder Schauspielerin Denise Wintsch an. Für die Vernissage hat der Churer Liedermacher Walter Lietha einen Walser-Text vertont, an der Finissage ist Franz Treichler von der Kultband The Young Gods zu hören.
Jede der acht Interventionen nimmt ein Lebens- oder Schaffensthema von Walser auf: Reduktion, Repetition, Melancholie, Tod. Zentrales Thema freilich ist die Jugend. Vera Kappeler: «Walsers Frühwerk stammt von 1926, sein Spätwerk von 1929/30!» Der Ausnahmekünstler hat viele Texte zur Jugend verfasst. Diese lässt Kappeler im Kabinett lesen oder inszeniert sie als szenische Tableaux. Allerdings nicht mit Profis, sondern mit Jugendlichen der Kantonsschule Chur sowie des Jungen Theaters Graubünden, welche die Texte zum Teil selbst ausgewählt haben. «Mich interessiert», so Kappeler, «wie Jugendliche heute auf einen Lebens- und Künstlerentwurf wie den von Andreas Walser reagieren.»
Andreas Walser
Und jetzt – gehe ich
Sa, 11.2.–So, 16.7.
Bündner Kunstmuseum Chur
www.buendner-kunstmuseum.ch
Fünf Fragen an Stephan Kunz
«Eine unkonventionelle Annäherung»
Stephan Kunz, Direktor des Bündner Kunstmuseums in Chur, erläutert die Besonderheit des Walser-Kabinetts.
kulturtipp: Was gab den Anstoss zu dieser Ausstellung?
Stephan Kunz: Das Bündner Kunstmuseum beherbergt einen Teil des künstlerischen Nachlasses von Andreas Walser. Wir sind an einer aktiven Auseinandersetzung mit diesen Beständen interessiert. Dies hat zur Einladung von Vera Kappeler geführt, unser «Labor» als Walser-Kabinett einzurichten.
Eine Musikerin als Kuratorin: Wie kam es dazu?
Vera Kappeler beschäftigt sich seit längerem intensiv mit Andreas Walser. Nun konnte sie sich diesem bildenden Künstler auf unkonventionelle Weise annähern und andere Kunstschaffende animieren, es ihr gleichzutun.
Welche Absicht verfolgen Sie mit dieser Gast-Kuratierung?
Das von Kappeler kuratierte Zusammenspiel auf verschiedenen künstlerischen Ebenen erschliesst uns im Museum neue Zugänge zu Andreas Walser. Im «Labor» gelangen verschiedene Programme zur Uraufführung, die fester Bestandteil des ganzen Projektes sind.
Haben Sie das «Labor» eigens für diese Ausstellung geschaffen?
Das «Labor» ist eine Besonderheit des neuen Bündner Kunstmuseums. Als kleine Kunsthalle im Neubau erlaubt es andere Ausstellungsformate. Regelmässig laden wir Künstlerinnen und Künstler ein, für diesen Raum besondere Projekte zu entwickeln. Das «Labor» ist ein Freiraum, in dem Neues entstehen kann.
Wollen Sie mit dem Programm im Walser-Kabinett gezielt ein junges Publikum ansprechen?
Andreas Walser ist mit 22 Jahren gestorben. Sein Leben und Werk haben das Potenzial, von einer jungen Generation entdeckt zu werden. Wir involvieren in die verschiedenen Programme bewusst Jugendliche seines Alters, um so gezielt auch ein junges Publikum anzusprechen.