Lektüre
Das Feuer verdämmert im Ofen
ich lege das letzte Gedicht in die Glut
wie zum Abschied, zum Anfang
verschliess ich die Augen und
sehe mich so lange wärmer
bis ich dich spür.
In Andreas Neesers Gedicht knistern die Zeilen. Feuer, Wasser, Luft und Erde sind der Grundstein für seine sinnliche Poesie. Daraus wachsen Verse über die Liebe, über Erinnerungen, Begegnungen, die Natur, den Tod oder die Sprache selbst. Im neuen Gedichtband «Wie halten Fische die Luft an» stellt der Dichter einmal mehr seinen Sinn für sprachliche Feinheiten unter Beweis.
Das Buch ist in drei Zyklen gegliedert; es enthält neue und ältere, bereits preisgekrönte Gedichte. Das Eingangsgedicht stammt aus dem Kapitel «Lichtwuchs». Der mittlere Teil «Schichten von Haut» hebt sich formal von den beiden anderen Zyklen ab. Diese Gedichte hängen über die einzelne Seite hinaus miteinander zusammen. Der im aargauischen Ruedertal aufgewachsene Schriftsteller lässt darin unter anderem Erinnerungen auftauchen – an die Grossmutter, an die Mutter, an seine Kindheit.
Mit dem neuen Lyrikband kehrt der 51-jährige Autor nach einem Erzählband, einem Roman und einem Mundart-Band zu seinen Wurzeln zurück. Die lyrische Ader zeigt sich auch in seinen Prosa-Werken: Sie zeichnen sich aus durch die verdichtete, bildhafte Sprache, das Gespür für Klang und Rhythmus – und die starke Prägung durch die fünf Sinne.
Nach seiner Zeit beim Aargauer Literaturhaus, das er acht Jahre lang geleitet hat, widmet sich Andreas Neeser nebst einem Teilzeit-Pensum an der Kantonsschule Aarau inzwischen wieder ganz dem Schreiben. Der Autor fühlt sich in allen Genres zu Hause: Mit dem Band «Ravi und Oli in Grünland» ist er nun sogar unter die Kinderbuchautoren gegangen. Entstanden ist es zusammen mit seiner Frau Lea Guidon und dem Illustrator Marc Locatelli.
Seine Herzensangelegenheit bleibt die Lyrik, in die er sich jeweils mit Haut und Haar vertieft. Die schwebenden Klangkunstwerke brauchen ihre Zeit zum Reifen, damit es aus ihnen klingt und duftet und sich in ihnen alle Sinne entfalten können. Sie passen in die melancholische Herbstzeit, in der es draussen nach schwerer, feuchter Erde und frisch gefallenem Laub riecht und drinnen die Lektüre vor knisterndem Kaminfeuer lockt.
Lesungen
Sa/So, 21.11./22.11.
Aargauer Literaturhaus Lenzburg
Werkstattlesungen mit Andreas Neeser und anderen Lyrikern am Neonfische Lyrikfestival
Do, 26.11., 19.00 Showroom Emil Frey AG Safenwil
So, 6.12., 18.00 Theater Stadelhofen Zürich
Vier Fragen an Andreas Neeser
«Ich habe schon sieben Jahre auf ein Wort gewartet»
kulturtipp: Sie gehen mit wachen Sinnen durch die Welt. Wie prägt das Ihre Arbeit?
Andreas Neeser: Ja, ich tauche mit allen Sinnen in die Welt. Vor allem, wenn ich Lyrik schreibe, bin ich als Mensch in einem anderen Modus. Ich schaue die Welt dann anders an, habe den «lyrischen Blick». Im Lyrik-Modus nehme ich die Sprache viel bewusster wahr, ich schaue, höre und rieche bewusster – es ist, als ob zusätzliche Poren aufgingen, eine totale Wachheit. Wenn ich Prosa schreibe, hindert mich dieser andere Sinneszustand eher, dann versuche ich, in einen Erzählfluss zu kommen.
Auch Ihren Prosa-Werken merkt man an, dass Sie vom Lyrischen herkommen …
Das stimmt, mein Erzählen ist stark geprägt von Bildern. Ich bin ein kleinteiliger Erzähler – nicht der mit dem langen Schnauf. Die Lyrik stand am Anfang meines Schreibens und ist ein Pflänzli, das nie abgestorben ist. Darum freue ich mich jetzt umso mehr, dass nach fast 10 Jahren und drei Prosabänden wieder Gedichte von mir erscheinen.
Die vier Elemente spielen eine wichtige Rolle in Ihren Gedichten. Was gibt Ihnen die Natur für Ihre Arbeit?
Von einem Spaziergang nehme ich immer sehr viele inspirierende Eindrücke mit. In der Natur ist alles, was entsteht und vergeht: das Leben, der Tod, das Licht, der Schatten. Aber wie ein Gedicht genau entsteht, ist immer wieder ein Mysterium.
Die Sprache selbst ist ein weiteres wiederkehrendes Motiv in Ihrem Lyrikband. Was soll sie vermitteln?
Im glücklichsten Fall kann man mit Sprache ein kleines Eckchen von Welt schaffen. Klanglichkeit und Rhythmus sind mir sehr wichtig – und ein Bild, das trägt. Beim Schreiben will ich Ballast abwerfen, bis die Zeilen eine gewisse Leichtigkeit haben, aber doch stringent und geerdet sind. Ich habe auch schon sieben Jahre auf ein Wort gewartet. Das Gedicht stand jahrelang mit dieser Zahnlücke in der letzten Zeile da. Umso beglückender, wenn das Wort gefunden ist.
Buch
Andreas Neeser
«Wie halten Fische die Luft an»
80 Seiten
(Haymon 2015).