Andreas Kyriacou über sein Leben als Freidenker
Inhalt
Kulturtipp 20/2012
Andreas Kyriacou
In Feuilletons und Politdebatten wird sie unentwegt angekündigt: die Rückkehr der Religionen. Was als hoffnungsvolle Botschaft daherzukommen scheint, ist zunächst einmal nüchterne Bestandsaufnahme: Die Religion ist uns im Alltag weitgehend abhandengekommen. Doch Studien widerlegen den prophetischen Teil der Botschaft: Sie kehrt nicht zurück.
Vor zwei Jahren untersuchte der Lausanner Soziologe Jörg Stolz die Religiosität in der Schweiz. Ein Hauptbe...
In Feuilletons und Politdebatten wird sie unentwegt angekündigt: die Rückkehr der Religionen. Was als hoffnungsvolle Botschaft daherzukommen scheint, ist zunächst einmal nüchterne Bestandsaufnahme: Die Religion ist uns im Alltag weitgehend abhandengekommen. Doch Studien widerlegen den prophetischen Teil der Botschaft: Sie kehrt nicht zurück.
Vor zwei Jahren untersuchte der Lausanner Soziologe Jörg Stolz die Religiosität in der Schweiz. Ein Hauptbefund seiner Arbeit: Knapp zwei Drittel der Bevölkerung haben ein distanziertes Verhältnis zur Religion. Diese Personen sind oftmals (noch) Mitglied einer Kirche, Gottesdienste besuchen sie aber nur sporadisch, meist im Rahmen bedeutender Familienrituale.
Weitere zehn Prozent der Bevölkerung – Stolz nennt sie die Säkularen – leben gänzlich ohne religiöse Praxis und ohne religiöse Überzeugungen. Nun gibt es also für uns Gottlose so etwas wie eine offizielle Schublade. Endlich, ist man geneigt zu rufen. Nicht, dass wir im Alltag noch merklich drangsaliert würden. Aber öffentliche Institutionen tun sich teilweise noch immer schwer damit, die faktische Säkularisierung der Gesellschaft hinzunehmen.
Das vielleicht ärgerlichste Beispiel: die Ausgestaltung des neuen Pflichtschulfachs «Religion und Kultur» im Kanton Zürich. Wenn auch behauptet wird, «von der Lebenswelt der Kinder» auszugehen, kommen – anders als beispielsweise im Bündner Ansatz – weltliche Wertvorstellungen schlicht nicht vor. Die Säkularistenschublade setzen die Autoren augenscheinlich mit Pandoras Büchse gleich, die man um jeden Preis unter Verschluss halten muss, damit sich nicht Laster und Untugenden über die Welt verbreiten. Den Schülern wird suggeriert, Religion sei omnipräsent und gehöre zum Leben eines jeden Einzelnen. So wird implizit Druck ausgeübt, aus der aus fünf Weltreligionen bestehenden Angebotspalette eine für sich auszuwählen.
Die Zürcher Volksschule bereitet so die Kinder auf eine Welt von gestern vor. Denn wenn es um ethische Fragestellungen ging, unterstützten Schweizerinnen und Schweizer in den letzten Jahrzehnten an der Urne verlässlich gesellschaftsliberale Positionen: Den Anfang machten die Annahme des Gleichstellungsartikels (1981) und des neuen Eherechts (1985), welches die Frau aus ihrer religiös geprägten Untertaninnenrolle befreiten. In diesem Jahrtausend folgten Gesetze zur Fristenregelung (2002), zur Stammzellenforschung (2004) und zu den eingetragenen Partnerschaften (2005) sowie der Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen (2010).
Trotz dieser Reformen hinkt die Politik dem gesellschaftlichen Wandel hinterher. Vor allem kantonale Gesetze widerspiegeln nicht selten noch das Bild einer durch und durch religiös geprägten Gesellschaft. So kennen mehrere Kantone allerlei Verbote, die an so- genannt hohen Feiertagen gelten. Beispielsweise dürfen in Zürich an Auffahrt und Bettag, die nur noch von kleinen Minderheiten religiös zelebriert werden, im Freien weder Kultur- noch Sportveranstaltungen stattfinden. Und im Kanton Bern werden die Pfarrlöhne noch immer vom weltlichen Staat bezahlt. Das Parlament lehnte es diesen Monat ab, den überfälligen Systemwechsel vorzunehmen.
Die Mehrheit der Kantone kennt zudem eine obligatorische Kirchensteuer für Unternehmen, ohne dass die Kirchen an irgendwelche Leistungsaufträge gebunden sind und auf die Weltanschauung von Mitarbeitern und Inhabern Rücksicht genommen wird.
In verschiedenen Kantonen laufen derzeit Initiativen, welche derlei Relikte in Frage stellen. Und es ist zu vermuten, dass sich die Bevölkerung veränderungsfreudiger zeigen wird als die zuständigen Parlamente.
Mit schöner Regelmässigkeit wird uns, die wir uns für eine klare Trennung von Staat und Kirche einsetzen, vorgehalten, der Verzicht auf derlei staatliche Kirchenförderung würde zu einer völlig entritualisierten Gesellschaft führen.
Doch die Besorgten haben allen Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Viele Bräuche leben in säkularisierter Form weiter. Obwohl sie mir persönlich nichts bedeuten, bleiben Ostern und Weihnachten sehr wohl in manch religionslosem Haushalt als Familienfeier erhalten, auch wenn der Messebesuch nicht zum Programm gehört. Willkommensrituale gibt es auch ohne Weihwasser, Hochzeiten werden immer öfter ausserhalb von Kirchgemäuern und ohne Würdenträger gefeiert, und in säkularen Abschiedsfeiern wird ohne Verweis auf Überirdisches an Verstorbene gedacht und Angehörigen Trost gespendet.
Die Abdankungsrede für meinen Vater hielt ich selbst. Die Zusammenkunft mit dem Rest der Familie und seinen Freunden hätte ich nicht missen wollen, eine fremdbestimmte und religiös untermalte Feier hätte aber weder mir noch meinem Vater entsprochen, der es stets mit Nikos Kazantzakis’ Grundeinstellung gehalten hatte: «Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei».
Die säkularisierte Gesellschaft schafft sich auch neue, spontane Ausdrucksformen. Als Neil Armstrong am 25. August verstarb, liess seine Familie online verlauten, man solle doch beim nächsten Spaziergang in einer klaren Nacht an Armstrong denken und dem Mond zuzwinkern. Daraufhin regte die Astrophysikerin Catherine Qualtrough an, auf Twitter Gedenkbotschaften zu verschicken und diese mit dem Stichwort #WinkAtTheMoon zu versehen. Innerhalb weniger Tage wurden 1,6 Millionen solcher Tweets verschickt. Das mag den einen als oberflächlicher Akt erscheinen. Doch auch dieses Beispiel zeigt: Eine säkularisierte und den Individualismus hochhaltende Gesellschaft findet sehr wohl Wege, um Verbundenheit auszudrücken und Gemeinschaftssinn zu schaffen. Und das ist gut so.
Andreas Kyriacou
Geboren 1966 in London, wuchs Andreas Kyriacou in England, der Schweiz und Zypern auf und lebt seit 14 Jahren in der Zürcher Altstadt. Er studierte klinische Linguistik und Business Administration und ist Inhaber eines kleinen Beratungsbüros für Wissensmanagement. Er präsidiert die Zürcher Freidenker und ist Mitglied des Zentralvorstands der Freidenker Schweiz.
www.kyriacou.ch