Oper ist nicht für alle da – genauso wenig wie Fussball. Mit dem Schlagwort «Oper für alle», das Intendant Andreas Homoki zu Beginn seiner Zürcher Ära 2012 vom Bellevue bis hinaus nach Spreitenbach posaunte, wollte er dennoch zeigen, dass sein Haus allen offen steht. Alexander Pereira, der Opernaristokrat im Massanzug, hatte von 1991 bis 2012 andere Signale gegeben. Homoki hingegen posiert im Polo-Shirt und zeigte sich beim Eröffnungsfest als volksnaher Grillchef am Wurststand.
Volksfeststimmung auf dem Sechseläutenplatz
Vielleicht hätte es als Zeichen der Abgrenzung sein Polo-Shirt gar nicht gebraucht. So schwer war es nicht, Pereira zu ersetzen. Nach 21 Jahren wollten alle eine Veränderung, abgesehen von den im goldenen Käfig sitzenden Ensemble-Mitgliedern, den bevorzugten Agenturen und topbezahlten Stammkünstlern. Dem Haus ging es nach den Opern- und Börsentriumphen in den 1990er- Jahren mässig: 2010 schrieb Pereira einen Fünf-Millionen-Verlust, die Auslastung war unter 80 Prozent gefallen, so tief wie 1991, als Pereira gestartet war.
Mit Homoki konnte es wieder aufwärtsgehen. Sein Versprechen allerdings, diese saloppe «Oper für alle», erfüllt er ein Mal pro Jahr. 10 000 Menschen sitzen dann jeweils mitsamt dem Operndirektor auf dem Sechseläutenplatz und schauen auf Grossleinwand eine Oper. Im Sommer 2016 herrschte trotz Regen und Tschaikowskys anspruchsvoller «Pique Dame» Volksfeststimmung. Drinnen im Haus hingegen das übliche Bild: Karten von 95 bis 230 Franken waren erhältlich, jene zu 35 Franken längst ausverkauft.
Immerhin: Homoki erfüllt die Leistungsvereinbarung mit dem Kanton locker. Die Eigenwirtschaftlichkeit (aktuell 38,3%), die Auslastung (83,3%) sowie Öffnung und Modernisierung stimmen. Von der ersten Saison an bis Homokis Vertragsende 2022 wird das so bleiben. Die Wirtschaft steht hinter dem Haus, die Sponsoreneinnahmen haben in der Saison 2015/2016 neun Millionen überschritten.Credit Suisse und UBS sind die Hauptsponsoren, man sitzt mit Kaderleuten der Zurich Versicherungen und Amag-Autoimporteure im Verwaltungsrat. Ex-Politiker Markus Notter präsidiert die Runde, Managerprimus Peter Wuffli ist Vizepräsident.
Die Oper für alle bleibt ein Traum
Pereira klagte von morgens früh bis abends spät, dass mit den paar Millionen Subventionen nicht einmal alle Angestellten bezahlt seien – seine Dirigenten mit Abendgagen von 20 000 Franken mitgerechnet. Homoki hält sich dagegen zurück. Bei über 80 Millionen zu jammern, wäre tatsächlich dumm. Sogar sparen kann er. Die 1,6 Millionen, die es letzte Saison weniger an Subventionen gab, steckte man genauso gut weg wie die erhöhten Sparbeiträge an die Pensionskasse. Christian Berner, dieser so gelassene kaufmännische Direktor, bewältigt das und einiges mehr im Haus, wenn Homoki wieder einmal in Zürich, Berlin oder anderswo für gutes Geld inszeniert.
Müsste Homoki deutlich sparen, wären Abstriche bei der Qualität der Gastkünstler nötig, weniger Neuproduktionen und dafür mehr Übernahmen von Produktionen anderer Opernhäuser. Zürich leistet sich neben einer Top-Infrastruktur nach wie vor Top-Künstler – etwa die teuersten Regisseure. Damit erreicht das Haus internationale Ausstrahlung, ist ein Wirtschaftsfaktor und Leuchtturm fürs Standortmarketing. Will es sein Niveau halten, kann man die Karten nicht verbilligen. Zu sehr ist man hier das Feinste gewohnt. Somit bleibt die «Oper für alle» ein Traum.
Das Opernhaus ist eine geölte Maschine
Homoki hat eine Linie und eine Vision. Das Haus zeigt eine sich durch alle Inszenierungen ziehende Ästhetik – gemässigt modern. Homoki will nicht nur für Spezialisten und Kenner produzieren, ihm geht es um Lebendiges – um eine Auseinandersetzung mit dem Heute, mit uns selbst. Bei Pereira war das Opernhaus in Sachen Regie ein Gemischtwarenladen. Die Identifikation lief über die Sänger und Dirigenten. Wie gewisse Fussballtrainer vertraute er auf sie in guten wie in schlechten Zeiten. Man war unter sich, in der Familie. Dieses Denken gibt es nicht mehr.
Das Zürcher Opernhaus ist eine geölte Maschine, im Prinzip offen für alle. Das Ensemble ist gut, manche Gäste sind gar spektakulär. Gewisse Neuproduktionen sind sängerisch allerdings alles andere als Welt-klasse. Homoki will für «Bohème»-Sänger und -Dirigent ungern Spitzengagen von 15 000 bis 20 000 Franken ausgeben, da der Puccini-Hit das Haus auch mit weniger bekannten Sängern füllt. Die Selbstsicherheit schlägt so bisweilen um in Krämergeist.
Szenisch erlebt der Gast immerhin weniger Opernroutine. Doch der Hang zur modernen Regie ist riskant: In jeder Saison gab es szenische Ausfälle, mit Herbert Fritsch («Freischütz») und David Hermann («Entführung aus dem Serail») in dieser Saison schon zwei. Souverän war dafür der Hausherr mit M.-A. Charpentiers «Médée». Mutig setzt er auch auf Klassiker der Moderne: Ab Ende Februar auf Manfred Trojahns 2011 komponierten «Orest». Regie führt Hans Neuenfels, der schon für manchen Opernskandal sorgte, mittlerweile aber altersmilde, ja selbst ein Klassiker, geworden ist. Man könnte diese Linie «kalkuliert mutig», das Resultat «berechenbar gut» nennen. Schwirrten da nicht Gerüchte in der Luft, dass Homoki Zürich vorzeitig Richtung München verlassen würde, wären die Schlussworte dieses Artikels gesetzt: Erstaunlich, würde der Verwaltungsrat nicht ein zweites Mal Homokis Vertrag verlängern.
Aufführungen & Rabattkarten
Manfred Trojahn: «Orest»
Regie: Hans Neuenfels
Bis Fr, 24.3., Opernhaus Zürich
Oper für alle
Karten zwischen 15 und 75 Franken: Vorverkaufsbeginn auf die Minute genau beachten.
Opernhaustag
Einmal im Monat Oper zum halben Preis: Karten gibt es ab 11 Uhr des Spieltages auch online.
Jeden Abend
Über 150 Plätze unter 40 Franken: Vorverkaufsbeginn auf die Minute genau beachten.