Andrea Levy Die Stimme der Sklaven
Die britische Autorin mit jamaikanischen Wurzeln Andrea Levy gibt im Roman «Das lange Lied eines Lebens» der Sklavin July die Stimme.
Inhalt
Kulturtipp 07/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Babina Cathomen
Das Interesse für ihre Vorfahren erwachte bei Andrea Levy, die als Kind jamaikanischer Einwanderer in London geboren wurde, erst mit dem Schreiben. Mitte 30 wagte sie sich an ihren ersten Roman und tauchte ab in die Welt ihrer Ahnen, von denen einige als Sklaven auf Zuckerrohrplantagen in Jamaika gearbeitet hatten. Das Aufeinanderprallen der englischen und der jamaikanischen Kultur ist ein Thema, das sie in all ihren Romanen aus unterschiedlicher Perspektive beschäftigt. Inzwischen ...
Das Interesse für ihre Vorfahren erwachte bei Andrea Levy, die als Kind jamaikanischer Einwanderer in London geboren wurde, erst mit dem Schreiben. Mitte 30 wagte sie sich an ihren ersten Roman und tauchte ab in die Welt ihrer Ahnen, von denen einige als Sklaven auf Zuckerrohrplantagen in Jamaika gearbeitet hatten. Das Aufeinanderprallen der englischen und der jamaikanischen Kultur ist ein Thema, das sie in all ihren Romanen aus unterschiedlicher Perspektive beschäftigt. Inzwischen ist sie in England zur Bestsellerautorin geworden. Ihr fünfter Roman «Das lange Lied eines Lebens» etwa war 2010 für den Man Booker Prize nominiert. Nun liegt ihr Werk auf Deutsch vor und liefert einen Einblick in ein düsteres Kapitel der Geschichte. Levy hat bei der Recherche ihr Ursprungsland Jamaika besucht und sich in die Geschichte der 300-jährigen Sklaverei vertieft. Dabei ist ihr eins aufgefallen: Die Sklaven selbst bekommen in der Geschichtsschreibung keine Stimme. Es galt, zwischen den Zeilen der Zeitzeugnisse von Weissen zu lesen.
Trotz schwerer Thematik ist Levys Roman, der in die letzten Jahre der Sklaverei Anfang 19. Jahrhundert bis zum Baptistenaufstand und seinen Folgen zurückblendet, nicht frei von Witz und gar Übermut. Ihre Hauptfigur July berichtet als alte Frau rückblickend von ihrem Leben als Haussklavin auf der Zuckerplantage Amity. Dabei spricht sie die Leser oft direkt an und lässt diese hautnah an der Kunst des Überlebens unter widrigen Umständen teilhaben. Die Geschichte schreibt sie für ihren Sohn, den sie als Baby vor der Türe des Baptistenpfarrers aussetzen musste. In ihrem Bericht nimmt sie es nicht immer so genau mit der Wahrheit, besonders schmerzhafte Erinnerungen verschweigt sie oder stellt sie geschönt dar, um dann im Dialog mit ihrem Sohn und den Lesern doch ein vollständiges Bild zu entwerfen. Die Sprache ist bewusst einfach gehalten, um die Authentizität beizubehalten. Der Autorin gelingt es dabei, den erniedrigenden Umgang der weissen Kolonialisten mit den schwarzen Sklaven ebenso darzustellen wie die kleinen Freiheiten, die sich die Sklaven nahmen und mit denen sie sich widersetzen konnten, um ihre Würde zu behalten.
[Buch]
Andrea Levy
Das lange Lied eines Lebens
368 Seiten
Aus dem Englischen von
Hans-Christian Oeser
(DVA 2011).
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