In heutigen Zeiten herrsche Zwangsoptimismus, ist die deutsche Journalistin Andrea Gerk überzeugt. Davon zeugen etwa die unzähligen Ratgeber, die das positive Denken propagieren. «Heute kann man kaum noch in Ruhe schlecht gelaunt sein», findet sie. Mit ihrem neuen Buch «Lob der schlechten Laune» schafft sie Abhilfe und überzeugt ihre Leser mit viel Humor von den Vorteilen der grantigen Stimmung. Die Autorin entdeckt darin «anarchische Widerstandskraft, kreatives Potenzial und einen hohen Unterhaltungswert» – und gesund ist das gelegentliche lautstarke Schimpfen obendrein, wie wissenschaftliche Studien nahelegen.
Weit suchen muss sie zur Untermauerung dieser Thesen nicht: Die Kulturgeschichte von der Antike bis heute liefert genügend Beispiele. In den Komödien genauso wie in den Krimis wimmelt es von Miesepetern – von Molières «Menschenfeind» bis zu Wolf Haas’ Detektiv Brenner, in der Verfilmung wunderbar mürrisch gespielt von Josef Hader.
Beispiele mit Wiedererkennungseffekt
Und auch an klugen Murrköpfen aus Literatur, Philosophie oder Politik mangelt es nicht: Gerk erinnert etwa an den Philosophen Arthur Schopenhauer, der befand: «Das Leben ist eine missliche Sache.» Seinen geistigen Höhenflügen tat das keinen Abbruch. Gerk liefert Anekdoten aus dem Leben des Gelehrten, der für seine Knurrigkeit bekannt war und erst in späten Jahren im Zusammenleben mit einem Pudel zur Seelenruhe fand. In der Reihe der Schwarzmaler nicht fehlen darf der österreichische Autor Thomas Bernhard: «Einer, der das Rollenfach des notorischen Nörglers virtuos beherrschte und die Produktivkraft des Grantelns zu unvergleichlicher Meisterschaft trieb …», wie ihn Gerk beschreibt.
Ein eigenes Kapitel widmet sie den gereizten Frauen. Darunter etwa Xanthippe, die streitsüchtige Ehefrau des Philosophen Sokrates: Vor lauter Ärger soll sie ihrem Mann den Inhalt eines Nachttopfs über den Kopf geleert haben. Andrea Gerk bringt ein gewisses Verständnis für die Furie auf, die sich «um den Haushalt und die drei Söhne kümmerte, während ihr Mann sich höheren Dingen widmete».
Die Autorin reichert ihren Streifzug durch die Kulturgeschichte mit Erkenntnissen aus der Psychologie und Philosophie an und bringt Beispiele aus dem eigenen Alltag, die für einen Wiedererkennungseffekt und für Schmunzeln sorgen. Anschauungsmaterial liefern auch Gerks Töchter: «Kinder haben ausgesprochen oft schlechte Laune, scheinen das aber überhaupt nicht schlimm zu finden», schreibt sie und plädiert für Kinderbücher, «deren Figuren schlecht gelaunt sein dürfen, ohne dass sofort therapeutische Massnahmen ergriffen werden».
Kein Wunder, kommt I-Ah, der mürrische Esel aus dem Buch «Pu der Bär», bei Kindern und Erwachsenen gleichermassen gut an: So wie das traurige Grautier mit den hängenden Ohren fühlt sich jeder einmal. Nach ausgiebigem Suhlen im Selbstmitleid und einer laut herausposaunten Schimpftirade, lässt sich die Stimmung mit der so unterhaltsamen wie lehrreichen Lektüre von Gerks Buch wieder heben.
Buch
Andrea Gerk
Lob der schlechten Laune
250 Seiten
(Kein & Aber 2017)