Es wird ein schöner Tag. Aber nicht für uns», lautet eine typische Twitter-Botschaft des Philosophen und Germanisten Eric Jarosinski. Seit einigen Jahren formuliert der US-Amerikaner unter dem Namen NeinQuarterly pointierte Kurzbotschaften und setzt mit seinen kunstvollen Tweets der allgemeinen «Tyrannei des Ja» etwas entgegen. Anstatt ständig zu allen Zumutungen und Widrigkeiten des Daseins Ja und Amen zu sagen oder in sozialen Netzwerken den nach oben gestreckten Daumen anzuklicken, plädiert Jarosinski für «Ein Nein des Jetzt nicht. Noch nicht. Und nicht nur. Das Nein des Nein.»
Mit seiner kreativen Verweigerungshaltung scheint der arbeitslose Philosoph vielen aus dem Herzen zu sprechen, denn er hat 150 000 Follower aus 125 Ländern. Dazu gehört auch der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, für den Jarosinski «der einzige Grund ist, der Twitter rechtfertigt». Der Internet-Aphoristiker trifft mit seiner misanthropischen, nihilistischen Weltsicht ganz offenbar einen Nerv und setzt sich wohltuend von der florierenden Gute-Laune-Industrie mit ihren einlullenden Ratgebern und Erbauungsdiskursen ab. Jarosinski verbreitet keine beruhigende Wellness-Philosophie, sondern denkt scharfsinnig, zweifelt an und lässt unversöhnliche Gegensätze als solche stehen. Dass seine minimalistischen Negations-Mantras dennoch tröstlich sind, liegt daran, dass sie realistischer und weitaus amüsanter sind als die zwanghaften Optimismus-Parolen, mit denen man längst nicht mehr nur von politischen Sonntagsrednern behelligt wird.
Wo durchgelächelt und das vielbeschworene positive Denken zur Pflicht erklärt wird, kann der gewünschte Effekt ins Gegenteil kippen – wie inzwischen auch wissenschaftlich erwiesen ist. Die Psychologin Gabriele Oettingen forscht seit mehr als 20 Jahren an der New York University, also ausgerechnet im Gute-Laune-Land Amerika, über den Optimismus. In zahlreichen Versuchen fand sie heraus, dass allzu positives Denken eher kontraproduktiv wirkt. Zwar kann es unter bestimmten Bedingungen – etwa, wenn es gilt, ausweglos erscheinende Situationen zu überstehen oder Zukunftsmöglichkeiten im Geist durchzuspielen – hilfreich sein. Sobald es aber darum geht, diese Möglichkeiten tatsächlich herzustellen und sie in die Praxis umzusetzen, seien positive Zukunftsfantasien für sich allein eher problematisch. Diese Annahme fanden Gabriele Oettingen und ihr Team bei Versuchen in den unterschiedlichsten Bereichen bestätigt – ob es um Gewichtsabnahme oder die Berufsplanung ging. Je positiver eine Person, die zum Beispiel abnehmen wollte, sich den Erfolg ihrer Diät ausmalte, umso weniger Gewicht verlor sie tatsächlich. Auch im Gesundheitsbereich ist allzu viel Optimismus weniger hilfreich, als man denkt, wie sich an Patienten zeigte, die sich einer Hüftgelenksersatzoperation unterzogen hatten. Je positiver diese sich den Genesungsprozess ausmalten, umso schlechter konnten sie ihr neues Gelenk bewegen. Es sieht so aus, sagt die Wissenschafterin, dass positive Zukunftsfantasien zwar im Moment angenehm sind, einem aber auf Dauer die Kraft nehmen, sie wirklich umzusetzen. Oder wie Friedrich Nietzsche es formulierte: «Die Jahre meiner niedrigsten Vitalität waren es, wo ich aufhörte, Pessimist zu sein.»
Je ausgeprägter das Wunschdenken ist, umso seltener scheint es also Realität zu werden. Gabriele Oettingens Diagnose trifft im Übrigen auch auf Gesellschaften zu. Dazu verglichen die Forscher Zeitungsartikel, die sich mit der Wirtschaftslage befassten, mit der tatsächlichen ökonomischen Situation eine Woche oder einen Monat später. Je optimistischer der Inhalt war, umso mehr verfiel die tatsächliche Leistungsfähigkeit und Arbeitsleistung. Einen ähnlichen Effekt haben die Antrittsreden amerikanischer Präsidenten. Je optimistischer der jeweilige Amtsinhaber darin in die Zukunft blickt, umso höher stiegen laut Oettingens Untersuchungen die Arbeitslosenzahlen während der Amtsperiode.
Abgesehen davon hat eine pessimistische oder zumindest skeptische Grundhaltung den Vorteil, viel häufiger für positive Überraschungen zu sorgen. Anders als den Blauäugigen, die ohnehin damit rechnen, dass alles bestens wird, bietet der natürliche Lauf der Dinge den Schwarzsehern viel öfter Anlass zur Freude.
Das bestätigt auch der britisch-schweizerische Erfolgsschriftsteller Alain de Botton, der in London die School of Life gegründet hat, eine Art Ratgeber in Eventform. Ziel dieses Unternehmens ist es, den Schülern Ideen für ein gutes, kluges Leben und in Vorträgen und Kursen Anregungen zu ihrer persönlichen Weiterentwicklung zu bieten. Mit seiner Arbeit möchte de Botton den modernen Menschen das Unbehagen nehmen. Als er in einem Interview gefragt wird, wie denn mit der zunehmenden Angst vor Terror umzugehen sei, verweist er auf Massenmord und Rebellion im Römischen Reich und auf Strategien, welche die Menschen damals entwickelten: «Eines ihrer Mittel war Pessimismus. Wir denken ja, dass Pessimismus das falsche Mittel in schwierigen Zeiten ist, aber im Römischen Reich hielt man es für wichtig, sich komplett vertraut zu machen mit den Möglichkeiten von Katastrophen. Wenn man davon ausgeht, dass Ordnung immer fragil und der Mensch von Natur aus aggressiv ist, dann ist jeder Tag, an dem nichts passiert, ein Wunder.»
Wir brauchen also beides: Phasen optimistischer Sorglosigkeit, um uns zu erholen. Aber auch die Sorge, um nicht ständig von unangenehmen Entwicklungen und Ereignissen böse überrascht zu werden. Auch der Lebenskunst-Philosoph Wilhelm Schmid sieht den allgemein grassierenden Zwangs-Optimismus skeptisch, besonders, wenn das Positivdenken normativ wird, das heisst, wenn einem von allen Seiten eingeredet wird, man solle selbst schwere Schicksalsschläge, den Tod von Angehörigen oder den Verlust des Arbeitsplatzes, als Chance und Gewinn sehen. Zum Leben gehöre nun mal, sagt Schmid, dass es polar organisiert sei, und nur wer beide Pole kenne, habe ein erfülltes Leben.
Zudem können Unmut und Zweifel extrem produktiv sein und dazu antreiben, sich zu den grundlegenden Fragen der Existenz durchzugrübeln, Dinge zu hinterfragen und nötigenfalls auch zu verändern. Wer gut drauf ist, muss das nicht, sondern kann sich entspannt in die Hängematte legen und ein Eis essen. Die Welt verändern wird er dabei eher nicht.
Andrea Gerk
Die in Bayern aufgewachsene Autorin Andrea Gerk (*1967)hat Angewandte Theaterwissenschaften studiert. Sie arbeitet als Kulturjournalistin und Moderatorin für verschiedene Hörfunksender der ARD. 2015 ist ihr Buch «Lesen als Medizin» über die wundersame Wirkung der Literatur erschienen, 2017 ihr witzig-philosophisches Buch «Lob der schlechten Laune». Andrea Gerk lebt mit ihrer Familie in Berlin.