«Ist Sterben interessant?», will der vierjährige Giovanni wissen. Fragen, die Eltern vielleicht ratlos zurücklassen, beantwortet Tomi Ungerer mit Leichtigkeit. Er beschreibt den Tod als Zöllner und Gastgeber, der zu einem Abenteuer in eine andere Welt führt – und verschweigt nicht, dass er mit Angst und Trauer verbunden ist. Dazu macht sich Ungerer Gedanken, wohin wohl die Diktatoren und Verbrecher nach dem Tod kommen: Ob sie ein netteres Plätzchen erhalten als die anderen im Paradies «mit dem ewigen Frieden als Zustand von Überdruss und endloser Langeweile». Und er erzählt von seiner eigenen Erfahrung mit dem Tod, als er im Koma lag und vom Licht geblendet wurde. «Wenn wir eine Seele haben, die unseren Körper überlebt, sollten wir einen Platz für sie finden (…)! Vielleicht ein Regenbogen?», schliesst er seine Überlegungen kindgerecht ab.
Mit subversivem Witz und Tiefgang
Der 85-jährige Künstler hat offensichtlich auch im Alter seine kindliche Neugierde und Fantasie behalten. Auf die Anfrage des französischen «Philosophie Magazine», ob er Fragen von Kindern beantworten wolle, habe er sich «gestürzt wie ein hungriges Raubtier». Das schreibt er im Vorwort des neu erschienenen Bandes «Warum bin ich nicht du?», der eine Auswahl seiner Kolumnen von 2013 bis 2016 versammelt. «Theorien, die behaupten, die Wahrheit gepachtet zu haben, haben mich schon immer misstrauisch gemacht», hält er in Erinnerung an die Nazi-Zeit fest. «Ich nehme mir die Freiheit, selbst zu denken.» Und das macht er in seinen Kolumnen und Illustrationen äusserst lustvoll – mit subversivem Witz und Tiefgang. Immer nimmt er dabei die Kids und ihre Fragen ernst und setzt anstelle des Zynismus den absurden Humor und die Fantasie. Zum Schmunzeln bringt er so auch die Erwachsenen, die den in Irland und Strassburg lebenden Künstler bereits von seinen politischen oder erotischen Zeichnungen her kennen.
Die Antworten enthalten oft persönliche Erinnerungen oder Anekdoten. «Was gewinnt man, wenn man einen Krieg gewinnt?», fragt etwa der siebenjährige Eric. Diese Frage katapultiert Ungerer zurück in seine eigene Kindheit im Elsass, eingepfercht zwischen den sich bekämpfenden Mächten Deutschland und Frankreich. Lulus Frage «Wie weiss man, dass man liebt?», erinnert ihn an das erste Zusammentreffen mit seiner Frau in einer New Yorker U-Bahn: «Sie war für mich wie eine Offenbarung, eine himmlische Erscheinung – lange be--vor wir dann zu einem schönen Miteinander ohne Illusionen fanden.»
«Können Steine denken?»
Sei es Liebe oder Tod, das Weltall oder die Natur, die Religion oder die Moral, Angst oder Vorurteile: Tomi Ungerer regt mit seinen Antworten zum Nachdenken an. «Wenn mich einer haut, darf ich dann zurückhauen, um mich zu verteidigen?», «Warum gibt es Geld?», «Warum nerven Jungs viel mehr als Mädchen?», «Warum vergeht die Zeit?», «Können Steine denken?». Auf originelle Fragen folgt eine ebensolche Antwort.
Buch
Tomi Ungerer
«Warum bin ich nicht du?»
181 Seiten
40 Illustrationen
(Diogenes 2016).