Der kürzliche Besuch von US-Präsident Barack Obama auf Kuba wird den karibischen Inselstaat nachhaltig verändern. Die einstigen Erzfeinde nähern sich zögerlich, aber spürbar an. Bereits gibt es wieder Linienflüge von Miami nach Havanna, wo mittlerweile auch Karibik-Kreuzfahrtschiffe anlegen. Auf die Touristen werden Investoren folgen, Exilierte werden heimkehren, und sie alle werden das Land «zurückerobern» wollen von jenen, die es vor fast 60 Jahren zur sozialistischen Republik erklärt hatten.
Wie diese letztmalige Eroberung Kubas vor sich ging, zeigt der neue Fotoband «Kuba 1959» von Burt Glinn. Die Reportage des 2008 verstorbenen Magnum-Fotografen erscheint erstmals in dieser Form und zeigt zahlreiche unveröffentlichte Aufnahmen. Herausgegeben 2015 vom Londoner Verlag Real Art Press, ist der Band nun auf Deutsch erschienen. Er umfasst auch kommentierende Texte von Glinn und einen einordnenden historischen Essay.
Erstaunlich, dass dieser medienhistorische Schatz derart lange in den Archiven schlummerte. Glinns Fotos dokumentieren nämlich nicht nur den historischen Umsturz Kubas, als die «Bewegung 26. Juli» unter Führung von Fidel Castro 1959 den vom Volk verhassten Diktator Fulgenicio Batista und dessen Entourage vertrieb. Sie illustrieren auch die damalige Arbeitsweise der «rasenden Reporter», zu denen Burt Glinn zweifelsohne zählte, wenn auch auf spezielle Art.
Kollektive Euphorie
Vor seinem Kuba-Einsatz hatte der US-Fotograf die Suez-Krise 1956 und im gleichen Jahr die Landung der US-Marines im Libanon fotografiert. Schon diese historischen «Schnappschüsse» zeugten von Glinns hohem Qualitätsbewusstsein. Je nach Situation schwarz-weiss oder farbig, waren sie Dokument und Kunstwerk zugleich. Ihm gehe es um die «ganze Wahrheit», sagte Glinn Jahre später. Dazu gehörte für ihn die fotografische Qualität, die seine Aufnahmen von jenen vieler Kollegen unterscheidet. Gerade im Fall von Kuba, wo zahlreiche Journalisten und Fotografen eigens zur Revolution angereist waren.
Seine eigene Anreise schilderte Burt Glinn 2001 im unterhaltsamen Text «Der Tag, an dem Havanna fiel». Dieser dient nun als Einleitung zum Buch «Kuba 1959». Demnach ist der damals 34-Jährige direkt von einer Silvesterparty in New York via Miami nach Havanna geflogen, als er hörte, Diktator Batista sei auf der Flucht vor den anrückenden Rebellen Castros. In Havanna geriet Glinn mitten in die Wirren der Revolution: «Viel Widerstand schien es nicht zu geben», erinnert er sich. Vielmehr habe er eine kollektive Euphorie erlebt. «Abrazo, die Umarmung, war die Geste des Tages.»
Nahe dran
Dieser Umstand erleichterte dem US-Reporter die Arbeit: «Ich konnte so nahe rangehen, wie ich wollte.» Er lichtete die Leute auf der Strasse ab: Jubelnde Männer und weinende Mütter, die ihre Rebellensöhne nach unsicheren Jahren im Untergrund wieder in die Arme schlossen. Diesen Revolutionären folgte er auch zu Scharmützeln in den Gassen der Altstadt, in eroberte Häuser und auf provisorische Polizeistationen, wo sie Batistas Gefolgsleute gefangen hielten und befragten. Direkte Gewalt oder gar Tod sind auf Glinns Bildern nicht zu sehen. Es ging ihm darum, die Revolution als Volks- und Befreiungsbewegung darzustellen. Diesen subjektiven Aspekt verzeiht man ihm, zumal er im Gegenzug den grossen «Held» Fidel Castro als einer unter vielen erscheinen lässt. Im Buch taucht der Revolutionsführer auf Seite 113 erstmals auf.
Castro muss Glinn aber fasziniert haben. Und umgekehrt, denn der US-Fotograf kam Castro so nahe wie sonst nur wenige. Aus den damaligen Begegnungen entwickelte sich eine andauernde Beziehung. Das letzte Foto im Buch zeigt Fidel Castro und Burt Glinn Arm in Arm als grauhaarige Senioren, fotografiert von Glinns Sohn Sam.
Buch
Burt Glinn
«Kuba 1959»
190 Seiten
(Midas Collection 2016).
Burt Glinn
Sein Name ist nicht mehr ganz so geläufig wie jener seiner Berufskollegen Robert Capa, Elliott Erwitt oder Werner Bischof. Wie diese aber war Burt Glinn (1925–2008) langjähriges Mitglied der renommierten Fotoagentur Magnum. Der Autodidakt aus Pittsburgh hatte in Harvard Literatur studiert, fotografierte aber seit 1949 für das «Life Magazine» und machte sich schnell einen Namen als rasender Fotoreporter. 1951 wurde er in die 1947 gegründete Agentur Magnum aufgenommen und blieb dieser bis zu seinem Lebensende verbunden. Mit seinen Revolutions-Fotos aus Kuba schaffte Glinn den Durchbruch. Bekannt sind auch seine Farbreportagen aus Russland, Japan und der Südsee sowie Porträts von Prominenten wie Andy Warhol oder Nikita Chruschtschow.