Regisseur Gianfranco Rosi hatte im Herbst 2014 vor, einen zehnminütigen Film über Lampedusa zu drehen. Aus dem ursprünglichen Plan wurde die Langdokumentation «Fuocoammare». Rosi ist ein ganzes Jahr auf der Mittelmeerinsel geblieben, hat allein mit Kamera und Mikrofon das Alltagsleben eingefangen.
Einheimische Helfer
Rosi begleitet den 12-jährigen Samuele. Der Junge in der Schule und daheim; wie er sich eine Steinschleuder bastelt, um damit auf Kakteen und Vögel zu zielen; mit den Armen simuliert er am Strand eine Pumpgun und schiesst auf einen imaginären Feind auf dem Meer. Er will, wie sein Vater, Fischer werden, muss aber noch seine Seekrankheit bewältigen. Samuele hat ein trübes Auge, das er beim einheimischen Arzt Pietro Bartolo behandeln lässt.
Der Arzt ist der einzige unter den Inselbewohnern, der direkten Kontakt zu den Flüchtlingen hat. Er muss die Gesundheitszustände, die Krankheiten und Todesfälle registrieren. Er hilft, wo er helfen kann, ganz selbstverständlich. Einer schwangeren Flüchtlingsfrau zeigt er in seiner Praxis auf dem Ultraschall, dass sie Zwillinge bekommen wird. Bartolo steckt das Elend nicht einfach so weg. Vor der Kamera gesteht er, wie ihn die Bilder der Toten bis in seine nächtlichen Albträume verfolgen. Für ihn ist klar: «Jeder Mensch, der sich so nennt, hat die Pflicht, diesen Menschen zu helfen.»
Der Film spart die direkte Konfrontation mit Elendsbildern nicht aus. Eins zu eins bekommt man einen Funkkontakt mit, einen Notruf – «please help us». Die Kommunikation bricht ab. Später im Radio die Meldung, dass von den 250 Flüchtlingen 206 gerettet werden konnten. Für viele andere ist es zu spät. Die Angehörigen von Küstenwache und Marine tun ihre traurige Arbeit. Einmal entdecken sie ein Geisterschiff mit unzähligen Toten im Unterdeck. Dehydriert, verdurstet. Leichensäcke gehören zum Alltag der professionellen Retter.
Verarbeitung mit Rap
Wer überlebt hat, kommt in die Auffangstation. Eine Gruppe von Flüchtlingen verarbeitet ihr Schicksal auf Englisch in einem Rap: «In Nigeria wurden wir bombardiert, wir sind durch die Sahara geflüchtet, in Libyen wurden wir getötet oder eingesperrt, mit dem Boot fuhren wir übers Meer, 30 von 90 haben überlebt.»
Der Film kommt ohne Kommentar aus, er vermittelt keine weiteren Informationen, als in den Bildern zu sehen und zu hören sind. Gianfranco Rosi zeigt, was und wie es ist, und gibt keine Antworten. Es bleiben die Fragen. In Berlin erhielt Rosis Werk «Fuocoammare» den Hauptpreis Goldener Bär. Jurypräsidentin Meryl Streep nannte ihn «einen wichtigen Film».
«Fuocoammare» (oder «Fuoco a Mmare») heisst auch ein altes Lied. Radiomoderator Pippo spielt es in seiner Wunschkonzert-Sendung. Es handelt von Kriegsschiffen auf dem Meer draussen vor Lampedusa. «Fuocoammare» bedeutet sowohl «brennendes Meer» wie auch «Leuchtturm».
Fuocoammare
Regie: Gianfranco Rosi
Ab Do, 1.9., im Kino