Klischee? Natürlich, aber trotzdem wahr. Der englische Fotograf Martin Parr hat dieses Bild (oben links) vor zwei Jahren an der Polo-Weltmeisterschaft in St. Moritz aufgenommen. Es zeigt ein Stück Schweiz, das zwar nur einer privilegierten Minderheit vertraut, aber allen andern dennoch bekannt ist. Die Fotografie zeigt eine unterschwellige Dekadenz und dokumentiert einen offenkundigen Widerspruch: Den Hundchen wird zwar Zuneigung entgegengebracht; der Pelzmantel zeugt jedoch von Gleichgültigkeit gegenüber den Tieren.
Hinter diesem Bild steht der 61-jährige englische Magnum-Fotograf Martin Parr. Das Zürcher Museum für Gestaltung zeigt in einer grossen Ausstellung zwölf Serien seiner Arbeit. Konsum, Tourismus oder nationale Symbole sind seine wichtigsten Themen.
Neue Perspektive
Das sind auch die Sujets seiner jüngsten Bilderserie «Think of Switzerland». Unser Land hat es Parr besonders angetan: «Unter allen Klischee behafteten Ländern nimmt die Schweiz einen Spitzenplatz ein», sagt er in einem Text der Ausstellungsunterlagen. Und Parr liebt die Klischees, weil sie ein Stück Wahrheit sind: «Die Welt wird von Klischees bestimmt, darum sind sie oft mein Ausgangspunkt», konstatierte er in einem Interview.
Parr hat erkannt, dass unser Blick für Banalitäten im Ausland viel schärfer ist als im Alltag. Er plädiert für die gleiche Aufmerksamkeit in der alltäglich vertrauten Umgebung. Damit erhebt er mit seiner Digitalkamera das Banale zum Besonderen und weist ihm einen neuen Stellenwert zu.
Die Sichtweise des Betrachters seiner Fotos verändert sich entsprechend: Er sieht das Vertraute aus einer neuen, ungewohnten Perspektive. Reiche St. Moritz-Touristen erscheinen nicht mehr als ein bekanntes Klischee, sondern sind plötzlich absurd.
Im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen dokumentiert Parr kein soziales Elend. Denn für ihn ist in Europa «nicht die Armut das Problem, sondern der Reichtum». Kein Wunder, dass seine Aufnahme als Mitglied der Agentur «Magnum» vor fast 20 Jahren bei einzelnen Kollegen zu Stirnrunzeln führte. Schliesslich fühlen sich viele von ihnen der dokumentarischen Sozialkritik verpflichtet.
Martin Parr ist ein Sammler von banalen Eindrücken, die er mit der Kamera festhält. Er ist auch ein Sammler von konkreten Gegenständen. Im Lauf der Jahre hat er sich eine grossartige Sammlung von Memorabilia angelegt.
Doppelte Sichtweise
Parr begann diese Kollektion in den 80ern, als die polarisierende britische Premierministerin Margaret Thatcher an der Macht war. Während ihrer Regierungszeit ist ihm aufgefallen, dass ihre konservative Anhängerschaft Thatcher wie eine Heilige verehrte. Es entstand ein Markt für Souvenirs an die Politikerin, wie diese Tasse mit einem Big-Ben-Henkel (Bild links). Man wagt nicht daran zu denken, wie eine Tasse Tee aus diesem Konstrukt schmecken würde, aber vielleicht diente sie ja nur als Blumentöpfchen auf dem Kaminsims.
Steckt hinter der Zurschaustellung dieser Tasse eine subtile unterschwellige Kritik Parrs an der neoliberalen Politik Thatchers? Wahrscheinlich, aber ganz sicher kann man nicht sein. Denn Parr zeigt im Museum für Gestaltung auch Uhren mit dem Konterfei des gestürzten irakischen Diktators Saddam Hussein. Aus der Sicht von US-Amerikanern mag ein solches Objekt pervers erscheinen, ein sunnitischer Iraker wird der Uhr dagegen eher ernsthaften Stellenwert zuordnen.
Diese doppelte Sichtweise kommt auch in seiner Fotografie zum Ausdruck. Parrs Berufskollege Gerry Badger schreibt in der Kulturzeitschrift «Du»: «Jeder Fotograf, wie sozialkritisch auch immer, muss seinem Thema erkennbar mit Zuneigung begegnen (es sei denn im Krieg oder bei extremer sozialer Benachteiligung). Das ist, wie Parrs Werk deutlich macht, eine zweischneidige Sache, eine Art Hassliebe.»
Martin Parr – Souvenir
Fr, 12.7.–So, 5.1.2014
Museum für Gestaltung Zürich
Martin Parr in der Kritik
Das Museum für Gestaltung verhehlt nicht, dass Martin Parr in Grossbritannien umstritten ist. Kritiker werfen ihm «Zynismus» vor. Allerdings hält Angeli Sachs, Kuratorin der Ausstellung, diesen Vorwurf für ungerecht: «Ich habe ihn überhaupt nicht als zynisch erlebt. Aber er hat einen scharfen englischen Humor.» In einem Aufsatz der Zeitschrift «Du» erinnert ein Berufskollege von Parr daran, dass sich die von ihm Fotografierten mitunter ungerecht dargestellt fühlten. Es wird eine porträtierte englische Dame zitiert, die sich «als konsumorientiert» dargestellt sah, eine andere gar als «fotovergewaltigt». Die Kritik ist ernst zu nehmen. Man mag von der St. Moritzer Pelzträgerin (Bild oben links) halten, was man will: Für sie ist diese Aufnahme wohl wenig schmeichelhaft.
Parr selbst ist sich seiner Verantwortung bewusst: «Hat man je einen Fotografen davon reden hören, dass er Macht über die Leute hat? Natürlich gibt es diese Macht. Die Fotografie ist nicht harmlos, sie steckt voller unausgesprochener Ansichten.»