Acht Jahre lang stöberte der Berner Heinz Schild im Bundesarchiv, in der Nationalbibliothek, in den Staatsarchiven von Chur bis Sitten für seinen Bildband «Visionäre Bahnprojekte – die Schweiz im Aufbruch 1870–1939». «Ich suchte die Originalquellen und wollte wissen, wie über all die Bahnprojekte in den Boomjahren vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben und debattiert wurde – und warum sie scheiterten.»
Bahn aufs Matterhorn
Schild, ursprünglich Kartograf, hat für sein Buch mit Akribie Projekteingaben und -pläne gesichtet. Er hat Fotos ausgegraben und Protokolle ausgewertet. Als Journalist durchleuchtete er damalige Presseberichte, um das Tauziehen der Pioniere vor und hinter den Kulissen zu verstehen. Denn oft lagen sich diese mit ihren Projekten in den Haaren.
So etwa beim Projekt Jungfraubahn von Eiffelturm-Ingenieur Maurice Koechlin. Seine Bahn, die ursprünglich bis auf den Gipfel klettern sollte, wurde nicht gebaut. Das Projekt scheiterte an den Finanzen. Bis es jedoch so weit war, versuchten die Befürworter alles, ihre Ideen an Mann und Frau zu bringen, und sie liessen nichts unversucht, das Konkurrenzprojekt Wetterhornbahn politisch zu erledigen.
Visionäre Bahnprojekte sollten alle Bergregionen beglücken: Etwa im Engadin, wo eine Bahn auf den Piz Bernina geplant war. Oder im Wallis, wo National- und Ständerat sowie der Bundesrat anno 1892 eine Bahn aufs Matterhorn konzessionierten. Die Pläne konnten nicht kühn genug sein. Und die Investitionen versprachen hohe Renditen. Bei den Rigibahnen gab es 1874, vier Jahre nach Eröffnung, 20 Prozent.
Die Ängste im Tal
Die Talbevölkerung hatte Angst vor dem Bergbahn-Boom. Viele bangten um ihre Arbeit und um ihr Einkommen. Dies wird im Artikel des «Oberländischen Volksblatts» aus Interlaken vom 25. Oktober 1889 deutlich: «Die frühere Bergsteigerei liess den Ertrag Land und Leuten, die kommende Fahrerei stösst die Dividenden und Prozentchen in die Taschen der Geldherren, die weit weg wohnen, jetzt will der rücksichtslose Kapitalismus sein hartes Regiment vom Thal aus bis auf der Erde höchster Zinnen hinauf zwingen.»
1908 wurde mit dem Wetterhorn-Aufzug in Grindelwald die erste Personen-Luftseilbahn der Alpen eröffnet. Zwei Jahrzehnte vor diesem technischen Durchbruch hatte ein ähnliches Pionierprojekt Kontroversen ausgelöst. Der spanische Ingenieur Leonardo Torres hatte ein Projekt für eine «schwebende Luftseilbahn» vom Pilatus zum 1100 Meter entfernten Klimsenhorn eingereicht. Die Beamten in den Berner Bundesstuben sahen jedoch nicht ein, warum «gerade unser Land für solche Experimente gewählt wird». Sie unterschätzten das Universalgenie Torres und zermürbten den Mann mit administrativen Winkelzügen, bis er aufgab.
«Die Schweiz verpasste damit die Chance, auch im Bau von Luftseilbahnen zum Pionierland zu werden», bedauert der Autor. Denn Torres eröffnete 1907 in San Sebastian eine Seilschwebebahn, die erste Personenluftbahn Europas. Und mehr noch. Der Spanier Torres machte sich einen Namen mit der Entwicklung von Luftschiffen und mit dem legendären «Aerocar», der 1916 eröffneten Luftseilbahn, die noch heute über die nordamerikanischen Stromschnellen nördlich der Niagarafälle führt.
Heinz Schild
Heinz Schild ist fitter als seine Altersgenossen und ein Jogging-Pionier. Der 71-jährige Berner schrieb 1978 das erste Laufbuch der Schweiz, gründete 1982 den Grand-Prix von Bern und 1993 den Jungfrau Marathon. Der Mann hat einen langen Atem, so joggte der ehemalige Redaktor von Radio DRS nach seiner Pensionierung von Bern nach Berlin – 1200 Kilometer in 17 Tagen.
Heinz Schild
«Visionäre Bahnprojekte»
240 Seiten
(AS Verlag 2013).