Ich wohne auf zwei Kontinenten – mühsam, aber ist nun mal so. Jedenfalls fliege ich entsprechend häufig durch die Welt, zwischen meinen beiden Wohnorten, aber auch zwischen einem der Wohnorte und anderen Orten. Verheerend für meine persönliche Klimabilanz, ich weiss, aber immerhin habe ich kein Auto.
Doch darum geht es hier nicht. Es geht um das Thema Sicherheitskontrolle an Flughäfen. An keinem anderen Ort wird das von Kulturkritikern monierte Ausgeliefertsein des modernen Menschen so physisch sichtbar. Wir lassen unsere Reisetaschen durchwühlen, ein etwas zu grosses Parfümfläschchen, das wir irrtümlich ins Handgepäck gesteckt haben, wird bedenkenlos herausgenommen, uns vorwurfsvoll unter die Nase gehalten und entsorgt. Oder ein hochempfindlicher Detektor piepst, obwohl wir verschiedenen Orts mit denselben Schuhen und demselben Gürtel schon Dutzende von Malen durch solche Geräte gewandert sind, die immer brav still blieben. Dann tastet man uns freundlich und gnadenlos den Körper ab, zwischen Hosenbund und Lendengegend scheint auch eine Hochrisikozone zu sein (Unterhosenbomber!). Wir müssen dann noch ein rituelles Tänzchen aufführen, mit ausgebreiteten Armen uns im Kreis drehen, Füsslein heben, eins ums andere (Schuhbomber!). Wobei sich mir immer noch nicht erschliesst, was das Erspüren von Metall mit der Konsistenz von Sprengstoff zu tun hat, aber Technik war nie meine Stärke. Natürlich untersuchen immer nur Männer bei Männern, Frauen bei Frauen. Ich habe allerdings vor kurzem in Berlin eine Sicherheitsbeamtin ein junges Mädchen abtasten sehen und fand, sie schenke deren Brüsten schon sehr beträchtliche Aufmerksamkeit – das Mädchen lächelte verlegen zu seinen Freundinnen hinüber.
Die Alternative ist bekanntlich der Ganzkörperscanner. Wo Budget und Pflichtbewusstsein der Behörden sich bis zu dieser Investition hin erstrecken, steht man in einer Haltung, die früher nur von überwältigten Banditen in Westernfilmen bekannt war, in einem runden Glaszylinder: Beine auseinander, Hände über dem Kopf erhoben. Und das Sicherheitspersonal kann in Ruhe inspizieren, ob ich vor gut 50 Jahren anständig beschnitten worden bin oder nicht.
Denkt man das Procedere der Sicherheitskontrollen zu Ende, erzeugen sie Unbehagen vor allem aus zwei Gründen: Erstens müssen die Beamten, um ihren Job ernsthaft zu machen, davon ausgehen, dass jeder von uns den nächsten Flug eher nicht überlebt, als dass er heil ankommt – es sei denn, sie richten all ihre Anstrengungen auf das entgegengesetzte Ziel. Zweitens verwandelt das jeden von uns mit derselben Wahrscheinlichkeit in Opfer wie in Täter. Eine unangenehme Doppelrolle.
Aber Sicherheit ist wohl, internationale Abkommen hin oder her, auch eine kulturelle Angelegenheit. In Zürich kaufte ich im Duty Free Shop einen Kirsch, die Tasche wurde nicht versiegelt, weil ich einen Non-Stop-Flug ohne Umsteigen nach Tel Aviv gebucht hatte. Hätte aber versiegelt werden müssen. Denn da ich mich aus lauter Routine zunächst im ausnahmsweise geänderten Terminal irrte, musste ich mit der Kirschflasche danach nochmals durch die Scan-Maschine. No chance, kann nicht ins Flugzeug! Aber immerhin, nicht mein Fehler. Der Sicherheitsmann begleitete mich zum nächsten Duty Free und forderte aufgrund meiner Quittung eine neue Flasche ein. Die alte (wohlgemerkt ungeöffnet im ungeöffneten Karton) müsse von ihm entsorgt werden. Die Verkäuferin händigte mir geknickt die neue Flasche aus (übrigens wieder in einer unversiegelten Tüte, mit der flehentlichen Bitte, jetzt direkt zum Terminal zu gehen), während der Beamte die erste Flasche davontrug. Ob er sie danach im Schutzanzug in einen Schüttstein oder doch eher beim nächsten Betriebsfest mit den Kollegen leerte, weiss ich nicht.
Einige Wochen später musste mein Flieger in Athen notlanden, weil man befürchtete, es stimme etwas mit der Belüftungsanlage der Kabine nicht. Das Flugzeug musste vollständig geräumt werden. Ich hatte (was einen falschen Eindruck hinsichtlich meiner Trinkgewohnheiten erweckt) wieder einen Kirsch in unversiegelter Tüte dabei und musste durch die Athener Kontrolle. Eine Beamtin hiess mich warten, nahm die Flasche zu einem Tischchen, füllte dort ein Zettelchen aus und gab sie mir dann zurück. Da es hier kein Eintauschrecht mehr auf Schweizer Kirsch gab, war mir das sehr recht. Was wohl auf dem Zettelchen stehen mag und wo es sich heute befindet, beschäftigt mich noch manchmal.
Apropos Kirsch: Versuchen Sie mal, in Tel Aviv, dem Flughafen der israelischen Sicherheitsmaniacs, mit einer Flasche voll Wasser durch die Sicherheit zu laufen. Kein Problem! «Wir sind hier nicht in Europa», wird man ihnen auf Nachfrage lakonisch mitteilen. Nacktscanner? Ebenfalls Fehlanzeige, und damit die Detektoren piepsen, müssen Sie schon mächtig Metall auf sich führen. Dafür werden Sie vorher von Beamten unnachgiebig mit Fragen getriezt: Wen kennen Sie in Israel? Woher kennen Sie ihn? Was ist seine Telefonnummer? Was war das Lieblingsgericht Ihrer Grossmutter?
Ich habe diese Beobachtungen einem Freund erzählt. «Nachvollziehbar», schloss er nach kurzem Nachdenken. «Juden glauben, was sie hören. Mündliche Überlieferung sozusagen. Christliche Europäer glauben, was sie sehen. Gnadenlose Empiriker.» Ich war nicht ganz überzeugt. «Aber die Griechen …» wandte ich ein, in Erinnerung an die Athener Episode. Er verwarf die Hände. «Ach, die Griechen!»
Alfred Bodenheimer
1965 in Basel geboren, ist Professor für Jüdische Studien an der Uni Basel. Sein Zweitwohnsitz ist Jerusalem, wo seine Frau und seine vier Kinder leben und er Krimis schreibt. Zuletzt erschien «Der Messias kommt nicht» (Nagel & Kimche 2016).