Leicht zerknittert taucht Alex Capus hinter dem Tresen auf. Die Nächte können lang sein in der Galicia Bar. Der Besucherin bietet er einen Gin Tonic an – passend zum Bar-Ambiente. Das frühmorgendliche Gespräch findet dann aber doch beim Kaffee statt, der die Lebensgeister vollends weckt. Wer hier durch die Tür tritt, ist mittendrin in seinem neuen Roman «Das Leben ist gut». Die Sevilla Bar im Buch ist unverkennbar die traditionsreiche Galicia Bar, und die Kleinstadt ohne Namen ist einmal mehr Olten. An der Wand hängt ein dunkelbrauner Stierkopf mit sanftem Lächeln. Um den Toro und seinen wilderen Vorgänger Cubanito ranken sich im Roman die Geschichten. Von der spanischen Stierkampf-Arena in die Oltner Bar ist er durch zahlreiche Umwege gelangt: Welche Rolle darin ein Greis in rosafarbenen Strumpfhosen spielt, ist nachzulesen im neuen Roman – und ebenso, warum der wilde Stier inzwischen durch einen sanfteren ersetzt worden ist.
kulturtipp: Alex Capus, wie viel beruht im neuen Roman auf wahren Tatsachen?
Alex Capus: Hier hat tatsächlich mal ein anderer Toro gehangen. Es hat im Buch natürlich Versatzstücke aus der Realität, und dennoch ist alles ein bisschen anders. Aber es ist ja nicht so, dass das Leben die besten Geschichten schreibt, wie man immer sagt. Es braucht einen Erzähler, der Elemente daraus miteinander in Verbindung setzt. Und auch wenn man sich um die objektive Wahrheit bemüht, sieht sie jeder anders. Personen, die von Aussenstehenden im Buch wiedererkannt werden, protestieren manchmal heftig. Das hat auch schon Ärger gegeben … Das ist die Krux des erzählenden Schriftstellers: Man erfindet nicht, sondern nimmt den Stoff immer von irgendwoher. Ich schreibe über Olten, weil ich mich hier auskenne. Und gerade wenn man intime Kenntnisse hat, muss man auch den Mut haben, das Unangenehme zu sagen. Das ist wichtig, um die Unabhängigkeit zu bewahren.
Im neuen Roman sind die Parallelen zur Realität offensichtlich.
Das stimmt. Aber ein Dampfschiffbuch aus Afrika (der Roman «Eine Frage der Zeit», Anm. d. Red.) ist für mich genauso persönlich. Alle Literatur, die man schreibt, muss einem am Herzen liegen, sonst sollte man gar nicht damit anfangen. Wenn es nicht persönlich ist, wird es schnell schulmeisterlich, und ich will den Leser auf keinen Fall belehren.
Was lernt man über das Menschsein, wenn man eine Bar betreibt?
Viel. In eine Bar kommen die Menschen ja oft nicht in ihren stärksten Momenten. Es gibt viele verlorene Seelen und überhaupt aller Gattung Leute. Ich kann hier Langzeitbeobachtungen machen. Es geht sehr familiär zu und her, man nimmt Anteil am Leben der anderen.
Der 55-Jährige betreibt die Galicia Bar seit drei Jahren und steht montags selbst am Tresen. Finanziert hat er sich seinen Traum durch den Erlös aus seinem internationalen Bestseller «Leon und Louise». Früher war die Bar ein Treffpunkt galizischer Fabrik- und Bauarbeiter. Noch heute ist der spanische Einfluss spürbar, und aus dem oberen Stock erklingt sonntags das quäkende Geräusch des Dudelsacks der spanischen Volksmusikgruppe. Capus wollte mit dem Kauf den Immobilienspekulanten, die ebenfalls ihren Auftritt im Roman haben, ein Schnippchen schlagen – und einen Treffpunkt für Jung und Alt schaffen. Die Galicia Bar ist sein zweites Zuhause, in Randzeiten nutzt der fünffache Familienvater sie auch als ruhige Schreibstube – und bei fehlender Inspiration spielt er hier gegen sich selbst Billard, bis der kreative Funke wieder zündet.
Was gibt Ihnen die Bar, was Ihnen die Schriftstellerei nicht gibt?
Ich mache etwas Handfestes. Die Bar ist ein wichtiger Treffpunkt für die Menschen. Ich kann durch die Bar viel eher etwas bewirken als durch die Literatur. Wenn der Alex aus Olten über die Immobilienspekulation schreibt, ist das dem internationalen Kapital egal. Aber dieser Ort wurde real der Spekulation entzogen. Ich wollte richtig «ad Säck».
Und dennoch sind Sie nach wie vor ein Vielschreiber …
Ja, ich kann es gut, und ich mache es gern. Und ich habe das Bedürfnis, mich zu verorten: Als Kind bin ich von Paris nach Olten gekommen, das ist ein Bruch, den man mit sich trägt. Ich glaube, als Immigrant hat man noch mehr als andere die Disposition, sich zu vergewissern in der Welt – den Wunsch, anzukommen, akzeptiert zu werden. Beim Schreiben stellen sich Fragen: Wo stehe ich in der Welt? Wo gehts hin? Hat das alles einen Sinn? Das Geschichtenerzählen ist am Schluss immer die Behauptung, dass alles in einem Zusammenhang steht, dass das Leben einen Sinn ergibt. Das Konstruieren von Schönheit schützt vor Schwermut.
Ihre Texte haben immer eine gewisse Leichtigkeit und lesen sich in einem Zug. Was braucht es für eine gute Geschichte?
Ich mache von jedem Text dutzende Versionen und lese mir selbst vor, ob es richtig klingt. Es gibt ja Schriftsteller, welche die Brüche suchen und den Leser fordern wollen. Ich hingegen will Schönheit, Eleganz, Fluss. Der Leser soll nicht immer wieder aus dem Gleis geworfen werden, sondern meiner Geschichte verfallen, ein sinnliches Vergnügen haben. Es ist wie bei einem Zauberkünstler: Jeder weiss, dass er trickst, aber vorübergehend glaubt man seiner Magie. Im Kino will man ja auch nicht sehen, dass das Mikrofon reinhängt oder der Regisseur am Rand sitzt.
Der Ich-Erzähler Max im Buch hat ein erfülltes Leben. Empfinden Sie diese innere Zufriedenheit auch bei sich selbst?
Durchs Leben zu gondeln, ohne eine gewisse Zerrissenheit, das gibts ja nicht. Aber ich bemühe mich, meinen Frieden mit der condition humaine zu schliessen. Ich bin jetzt 55 und merke, dass ich altere. Körperlich und seelisch. Es gibt solche, die dagegen rebellieren, in Depressionen verfallen oder in der Pose einer Lebensphase erstarren, sodass es ins Alberne kippt. Mit Dingen, die nicht zu ändern sind, versuche ich, mich anzufreunden. Aber ich habe auch das Privileg, dass ich mich jeden Tag schreibend damit auseinandersetzen kann, dass ich diese Themen ausbrüten kann wie ein Ei, aus dem mal eine Erkenntnis schlüpft. Es geht nicht ohne Humor oder Selbstironie. Sich laufend den neuen Gegebenheiten anzupassen, ist eine erfüllende Aufgabe. Dann ist es einfacher, mit sich im Reinen zu sein.
Interview: Babina Cathomen
Vom Glück des Alltäglichen
Liebe, Freundschaft und das Auskosten des Augenblicks: Das sind die Ingredienzen für ein gutes Leben, wie es der Barbetreiber und Schriftsteller Max im neuen Roman von Alex Capus pflegt. Wenn er mit dem klirrenden Altglas auf dem Handkarren von seiner Sevilla Bar über die Strasse zur Sammelstelle rattert, erfüllt ihn das mit Zufriedenheit. Als seine Frau Tina nach 25 gemeinsamen Ehejahren erstmals für längere Zeit ihr Domizil in Paris aufschlägt, bleibt er mit den drei Söhnen zurück in der Kleinstadt, macht sich seine Gedanken zum Leben oder unternimmt imaginäre Reisen. Der Oltner Autor Alex Capus schreibt in seinem Roman mit Witz und Leichtigkeit von dem stillen Glück, das den alltäglichen Dingen innewohnt, und von der Bedeutung beständiger zwischenmenschlicher Beziehungen. Und nicht zuletzt ist sein Buch eine Liebeserklärung an die Bar als Treffpunkt ganz verschiedener Charaktere, wo gelacht, geliebt, geschimpft, getanzt, getrunken und diskutiert wird.
Alex Capus
«Das Leben ist gut»
240 Seiten
(Hanser 2016).
Ab Mo, 22.8., im Buchhandel erhältlich.
Buchvernissage
Di, 6.9., 20.00 Kaufleuten Zürich
Anschliessende Lesetour durch die Schweiz.