Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) verwirrt. Einerseits lobt es DRS 2 auf seiner Homepage über den grünen Klee: Es sei «Radio mit Lust am Tiefgang», beleuchte das aktuelle Geschehen, ergründe Zusammenhänge, mische sich ein, «reflektiert und kommentiert – kritisch, klar und kompetent» und leiste «einen eigenständigen Kulturbeitrag». Anderseits behauptet SRF-Kulturchefin Nathalie Wappler, DRS 2 benötige einen «Befreiungsschlag», dessen Ziel laut Programmleiterin Franziska Baetcke ein «neuer Mix aus Musik, Moderation und journalistischen Inputs» sein muss.
Es ist selten, dass ein Unternehmen ein Produkt rühmt und ihm gleichzeitig eine Rosskur verordnet. Zu den raren Ausnahmen gehört auch, dass sich Kulturverantwortliche sprachlich verhauen. Den «Befreiungsschlag» kennen wir vom Sportplatz, auf dem eine arg bedrängte Mannschaft den Ball wild in den Himmel kickt. Von der Abwehrschlacht eines Hühnerhaufens ist aus dem DRS-2-Team nichts bekannt. Beim «Befreiungsschlag» handelt es sich um einen begrifflichen Irrtum, denn in Wahrheit holte die Chefetage zu einem Kahlschlag aus.
DRS 2 vermittelt Kultur und Wissen hervorragend. Sicher ist es nötig, die Arbeit immer wieder unter die Lupe zu nehmen und wandlungsbereit zu verbessern. Doch der Kahlschlag beschert, was er zu verhindern vorgibt: Ein Programm ohne Ecken und Kanten mit schwindender Resonanz. Als die Talfahrt beschleunigend, kommt der Denkfehler hinzu, DRS 2 auf Mehrheitsfähigkeit trimmen zu können.
Für Kultur interessiert sich lediglich eine Minderheit. Ob sie 10 Prozent der Bevölkerung umfasst oder vielleicht 20, ist belanglos: Minorität bleibt Minorität. An sie richten sich die Kulturprogramme. Nach aller Logik: An wen denn sonst? Fürs blosse Hinhören und Hinsehen liefert die SRG an Geplauder und Geplätscher genug. Weshalb nun auch noch die kulturellen Sendungen glattgebügelt und verseichtet werden müssen, ist das Rätsel jener, die unsauber formulieren, unscharf denken und unmündig an der Quote hängen.
Stets dann, wenn die SRG um Gebührenerhöhungen kämpft oder andere Expansionsgelüste hegt, betont sie ihre Verpflichtung auf den Service public und ihre einzigartige Förderrolle für Minderheiten. Die heiligen Schwüre sind Aussenreklame. Als Handlungsanleitung nach innen werden sie missachtet.
Darum geht es dem intelligenten, gelegentlich betulichen, doch unverkennbaren DRS 2 an Kopf und Kragen. Im Morgen- und Vorabendprogramm sorgt die Magazinitis für geistige Schonkost. «Apéro», «Atlas», «Cocktail» und «DRS 2 aktuell» werden auf die Müllhalde gekippt, die Magazine «Reflexe» und «Kontext» werden umgestylt. Weil durchrationalisierte und effizienzgesteuerte Arbeitsprozesse für ein gutes Radio das Wichtigste sind, ersetzt der multimediale Newsroom die Redaktionsstuben, in denen zeitverplämpernd so verschrobene Bräuche wie Nachdenken, Debattieren und das Ringen um die beste Lösung gepflegt wurden.
Fortan gilt, wie sich Bereichsleiter Achim Podak ausdrückt, «ein funktionaler Kulturbegriff, der ganz stark mit Beobachtungsverhältnissen gesellschaftlicher Wirklichkeit zu tun hat». Wer diesen Schwurbelsatz versteht, kapiert auch, weshalb die Abrissbirne gegen die Mauern des stolzen und lebenserfüllten DRS-2-Gebäudes krachen muss: Um den Containern Platz zu schaffen, in denen multimediale Mikrowellen den Convenience- Food für die Massen aufwärmen.
Die Kritik an den schauerlichen Plänen ist kein Plädoyer für ein denkmalgeschütztes DRS 2. Die SRG braucht überzeugende Antworten auf veränderte Seh- und Hörgewohnheiten und beengtere finanzielle Verhältnisse. Falsch ist bloss, sämtliche Programme über den gleichen Kamm zu scheren und das Publikum generell wahrzunehmen als Häppchenfanatiker, Berieselungsmasochisten und Newsjunkies.
Kultur ist mehr als eine Stofflieferantin für aufgekratzte Sendungen, quietschfidele Spots und drollige Ratespiele. Eigentlich sollte diese Erkenntnis bei einer SRG vermutet werden dürfen. Will das Radio kulturelles Geschehen getreu spiegeln und fachgerecht kommentieren, sind auch spezifische Qualitäten wie Ernsthaftigkeit, Langsamkeit, Sperrigkeit und Würde zu berücksichtigen. Darauf verwenden wache Hörerinnen und Hörer begeistert Zeit und Geduld. Kultur auf die Schnelle ist Allotria. Sie erleidet durch den Befreiungsschlag als Kahlschlag den radiofonischen Herzschlag.
Was als SRF 2 Kultur losgelassen wird, ist frei vom Verdacht, es sei kreativ, kompetent und ehrgeizig auf der Höhe der State of the Art geplant worden. Die Verantwortlichen haben sich die schwierige Aufgabe, den Kulturprogrammen auch langfristig Bedeutung und Attraktivität zu sichern, bestürzend leicht gemacht.
Wo war die Trägerschaft mit ihrem Regionalrat, Regionalvorstand und Publikumsrat? Wo deren Mitglieder, die einst der Devise folgten «Ich will mitreden»?
Alex Bänninger
Alex Bänninger ist Publizist, Mitglied des Leitungsteams von Journal 21 und der Jury des Ostschweizer Medienpreises. Er war Kulturchef des Schweizer Fernsehens und Moderator der Radiosendungen «Persönlich» und «Gästebuch». Alex Bänninger lebt im Thurgau.