Albtraum Schweiz
Ein Steinbruch bei Bern bildet die düstere Kulisse für die Inszenierung von Christian Krachts Schweizer Endzeitroman «Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten».
Inhalt
Kulturtipp 11/2014
Letzte Aktualisierung:
14.05.2014
Babina Cathomen
Was wäre passiert, wenn Lenin 1917 in der Schweiz geblieben wäre und eine Sozialistische Schweizer Republik gegründet hätte? Der in vielen Teilen der Welt lebende Schweizer Autor Christian Kracht findet darauf eine ebenso groteske wie düstere Antwort. In seinem 2008 erschienenen Roman «Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten» hat er die Geschichte der Schweiz umgeschrieben, ihr die schlimmstmögliche Wendung angedichtet.
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Was wäre passiert, wenn Lenin 1917 in der Schweiz geblieben wäre und eine Sozialistische Schweizer Republik gegründet hätte? Der in vielen Teilen der Welt lebende Schweizer Autor Christian Kracht findet darauf eine ebenso groteske wie düstere Antwort. In seinem 2008 erschienenen Roman «Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten» hat er die Geschichte der Schweiz umgeschrieben, ihr die schlimmstmögliche Wendung angedichtet.
Trostlose Atmosphäre
Die Schweiz steht kurz vor dem Zusammenbruch: Seit fast 100 Jahren ist sie mit den deutschen und englischen Faschisten im Krieg. Afrika als Verbündeter der Eidgenossen liefert fleissig «Menschenmaterial». Ein afrikanischer Offizier in Neu-Bern spielt die Hauptrolle in Krachts Untergangsszenario: Er soll einen ideologisch verdächtigen jüdisch-polnischen Oberst festnehmen und macht sich auf die Reise durch die kriegszerfurchte Schweizer Winterlandschaft ins Réduit – direkt ins «Herz der Finsternis».
Der Bundesratsbunker in Bolligen sollte dem Team des Konzert Theater Bern als Spielort für die düstere Szenerie dienen. Doch ein Steinbruch in der Nähe von Bern hat sich als geeigneter erwiesen. Die graue, steile Felswand und die kärglichen Baracken vermögen die trostlose Atmosphäre des Romans bestens einzufangen.
Im ersten Teil der Inszenierung kann sich das Publikum auf einer Busfahrt zum Steinbruch mit einem Hörspiel von Matthias Grübel über Kopfhörer auf das Leben im sozialistischen Imperium einstimmen. «Der Zuschauer schaut durch die Perspektive der Hauptfigur auf Krachts rätselhafte Welt und unternimmt dieselbe Reise ins Réduit wie der afrikanische Held», sagt der deutsche Regisseur Jan Christoph Gockel.
Fiktion und Realität
Der Kontrast von Fiktion und Realität hat Gockel besonders interessiert: «Bei Kracht werden die aktuellen Schweizer Lebensverhältnisse – Frieden, Wohlstand, Sicherheit – auf den Kopf gestellt. Und vielleicht schaut der Zuschauer nach der Inszenierung ja mit etwas anderen Augen auf die Schweizer Realität?»
In diesem Roman kennen die Menschen keine Gnade. In einer klaren, kalten Sprache entwirft der Autor Kriegsszenarien, webt an anderer Stelle beinahe parodistische Elemente ein oder betreibt ein fragmentarisches Spiel mit Zitaten aus Literatur und Film. Wo sich das Werk manchmal ganz der Verständlichkeit entzieht, liefert die Inszenierung konkrete Bilder. Acht Schauspieler schlagen sich im zum Réduit umfunktionierten Steinbruch durch. Untermalt wird die düstere Atmosphäre vom Soundteppich des Hörspielmachers Matthias Grübel oder Videoeinspielungen, die in die verborgenen Winkel im Felsen blenden. Und so zeigt sich das beschauliche Bern für einmal von seiner finsteren Seite.
Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten
Premiere: Sa, 17.5., 20.00
Treffpunkt: Konzert Theater Bern