In Alain Claude Sulzers Roman «Aus den Fugen» verabschiedet sich der Starpianist Olsberg mit einem «Das wars» von der Klassikwelt. Doch das Berliner Konzertleben geht weiter: Zwei Frauen rätseln bei einem seltenen Auftritt eines Klavierduos in der Philharmonie darüber, was wohl wäre, wenn einer der beiden Pianisten plötzlich «Das wars» sagen würde und damit die Zukunft beider vernichtete?
Auf Gedeih und Verderb
Der Gedanke berührt einen spannenden Aspekt von Klavierduos. Nämlich: Was macht der Duopartner, wenn der andere aussteigt? Fast immer sind es schöne Schwestern – oft Zwillinge! – oder Ehepaare, die auf Gedeih und Verderb persönlich wie künstlerisch zusammenhalten müssen.
Das weltberühmte Klavierduo und Ehepaar Yaara Tal und Andreas Groethuysen war dem Schweizer Romanautor Sulzer ein nützlicher Ratgeber, um von der grossen Welt der Starpianisten zu erfahren. Dieses Duo spielt tatsächlich in der Berliner Philharmonie vor 2000 Menschen und nimmt für Sony jährlich viel verkaufte CDs auf.
Das Schweizer Duo Ivo Haag und Adrienne Soós lebt in einer anderen Welt. Und wenn die beiden dieser Tage nicht in der Berliner Philharmonie, sondern bei den Braunwalder Musikwochen spielen, spricht aus ihren Worten tiefe Zufriedenheit: Die Kunst ist ihr Lebensmittelpunkt, nicht der Markt. Entwaffnend ehrlich sagt Ivo Haag: «Als Showmaster sind wir weniger talentiert, das überlassen wir anderen. Es braucht keine Inszenierung, man kann als Duo einfach seriöse Klavierabende geben.» Haag spricht die Namen nicht aus, aber jeder denkt dabei an die Labeque-, die Pekinel- oder die Önder-Schwestern, die Show und Kunst perfekt verbinden.
Universum erkunden
Für das Gespräch hatte Haag ein Musikzimmer im Luzerner Konservatorium Dreilinden reserviert. Da Haag aber die dort übende Pianistin nicht hinauswerfen will, Soós hingegen die Unruhe in der schönen Cafeteria mit Aussicht über Hügel, See und Berg fürchtet, sitzt man in der zum Abstellkämmerchen mutierten Küche. Aus dem Nebenzimmer dringen Harfenklänge …
Das in Ebikon lebende Paar zeigt, wie breit das Repertoire ist. «Beweis» dafür sind über zehn CDs, die sie in den letzten 20 Jahren eingespielt haben. Dafür erarbeiteten sie immer wieder spannende Projekte und sagen leise: «Schaut her, das alles gibt es auch noch für zwei Klaviere!» Ende März beleuchteten Haag und Soós in Boswil das «Universum Debussy-Ravel», spielten mit zwei anderen Duos deren Gesamtwerk für zwei Pianisten.
Erst Spass, dann Beruf
Beim legendären Pädagogen Ferenc Rados sassen die zwei einst in Budapest im Unterricht und spielten ein Jahr lang gemeinsam das «Grand Duo» von Franz Schubert. Mit Folgen: Aus dem Spass wurde ihr Beruf. Und eine Ehe. Das Zusammengehen von Kunst und Ehe stellte das Elternpaar zweier Kinder vor eine Herausforderung. «Wenn man zusammen auftritt und so immer gleichzeitig unter Druck ist, kann man schon einmal an seine Grenzen kommen», sagt Soós. Bei aller Übereinstimmung ist Haag überzeugt, dass Duos auf die Länge nur spannend sind, wenn zwei Charaktere herauszuhören sind: «Wir wollten nie Klone werden.»
Sicherheit gibt heute auch Haags Pensum an der Luzerner Musikhochschule, wo er Kammermusik lehrt und Klavierduos unterrichtet. Er betont, dass er keine Duos ausbilde, sondern den angehenden Pianisten durch die Kammermusik Anregungen und Ideen für den späteren Werdegang gebe: «Sie sollen lernen, aufeinander zu hören. Mit einem Duopartner muss ein Pianist musikalische Ideen formulieren können. Das Zuhören und das aufeinander Hören werden wichtig. Damit haben junge Pianisten öfter Schwierigkeiten, da sie gerne leidenschaftlich und laut spielen. Im Duo müssen sie mehr auf Farben achten.»
Orchester willkommen
Wenn Haag das erzählt, wird klar, was er und seine Frau in den letzten 20 Jahren gelernt haben. Ein weiterer «Partner» wäre sehr willkommen, denn gerne würden sie mit Orchestern auf der Bühne stehen. Ivo Haag weist bescheiden darauf hin, dass sie neben Mozarts berühmtem Konzert für zwei Klaviere und Orchester mehr als 15 Doppelkonzerte im Repertoire hätten und dass es nochmals so viele gebe, die sie gerne einstudieren würden.
Etwas mehr Mut bei den Konzertveranstaltern, etwas mehr Neugier bei den Besuchern – und die Welt von Soós/Haag wäre noch bereichernder. Ein romanhaftes «Das wars!» wird man allerdings weder von ihm noch von ihr in den nächsten Jahren von einer Bühne zu hören bekommen.
CD
Kelterborn: Kammersymphonie Nr.3 (Telos 2013).
Bartok: Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug; Zwei Bilder op. 10, u.a. (Telos 2012).
Debussy: Klavierwerke zu vier Händen (Naxos 2011).
Konzert
So 6.7, 20.30 Hotel Bellevue Braunwald
Klavierduo Adrienne Soós/ Ivo Haag mit Werken von Liszt, Dvorak, Schubert
79. Musikwoche
Braunwald
Sa, 5.7.–Fr, 11.7., www.musikwoche.ch