Die schwangere Madonna zwischen zwei kleinen Engeln. Die Heilige trägt ein vorne aufgeschnittenes Kleid, das auf den Betrachter geradezu lasziv wirkt. Aber von Sinnlichkeit ist keine Spur in ihrem Gesicht; die Gottesmutter wirkt nachdenklich, fast traurig.
Der florentinische Renaissance- Künstler Piero della Francesca hat das Gemälde «Madonna del Parto» Mitte des 15. Jahrhunderts geschaffen. Der 36-jährige Argentinier Adrián Villar Rojas hat das Werk vergrössert und spannt es nun über den Boden des gesamten Erdgeschosses des Kunsthauses Bregenz. Wer das Museum besucht, schreitet also zuerst über eine schwangere Madonna.
Rojas hat seine Idee derart radikal umgesetzt, dass sogar die Kasse weichen musste. Sie ist nun in einer Ecke beim Eingang einzwängt. «Wir hatten noch nie eine so aufwendige Ausstellung wie dieses ‹The Theater of Disappearance›, wie der Künstler seinen Auftritt nennt», sagt Maria Feurstein, Medienbeauftragte des Kunsthauses Bregenz, als sie mit vorsichtigen Schritten über die Madonna schreitet. Noch ist die Ausstellung nicht eröffnet, aber sie vermittelt einen kleinen Einblick in die Vorbereitungsarbeiten. Der Bau soll schliesslich zu einem «Betonbunker» werden, in dem sich die Kunst vor der Apokalypse retten lässt.
Der etwas kryptische Titel «The Theater of Disappearance» verweist auf eine, an der Berlinale gezeigte Filmproduktion von Rojas, in der er Lokalitäten wie die entmilitarisierte Zone in Korea besucht.
Wie einst die Avantgarde der 60er- und 70er-Jahre
Die Erde erscheint als eine Bühne und die gesamte Kreatur, inklusive Menschen, als ihre Darsteller. Bei diesem Titel drängt sich der Gedanke an das «Theater of the Absurd» auf, an die Avantgarde in den 60er- und 70er-Jahren mit Stückeschreibern wie Eugène Ionesco oder Harold Pinter. Tatsächlich kommt die Ausstellung in Bregenz diesem Kunstverständnis nahe.
Bei einem Besuch dort stehen rundum Arbeitende in ihren Jeans und T-Shirts, die ähnlich wie Bühnengestalter eine neue künstlerische Welt schaffen. Man staunt, dass sie mit so trivialen Werkzeugen wie Hammer und Zange eine Illusion des Fantastischen schaffen. Auf den ersten Blick arbeitet jeder für sich, allenfalls mit zwei, drei Kumpeln zusammen, und man befürchtet einen Augenblick lang, dass sich das alles niemals zu einem Ganzen fügen wird.
Überdimensionierte Skulpturen
Rojas’ Inspiration kam nicht von der bildenden Kunst. Er war ein Grunge-Musiker, liebte immer seine Comics. Bis er zusammen mit ein paar Kollegen die Kunst als Ausdrucksmittel für sein gesellschaftskritisches Engagement entdeckte. Er machte sich einen Namen mit überdimensionierten Skulpturen. Dazu gehört ein Beton-Wal, den er an der «Bien del Fin del Mundo» an der südamerikanischen Spitze von Patagonien zeigte: «Der letzte überlebende Gigant, den Millionen Jahre der Evolution hervorgebracht haben, verendet qualvoll. Die Parallele zur menschlichen Zivilisation, die die Orientierung verloren hat und mit Scheuklappen auf eine Klimakatastrophe zusteuert, drängt sich auf», sagte der Künstler in einem Gespräch mit dem Goethe-Institut zu dieser Skulptur mit dem Titel «Meine tote Familie». Mit diesen Worten will Rojas die Ähnlichkeit von Mensch und Tier hervorstreichen.
Für die Biennale in Venedig errichtete Rojas vor sechs Jahren einen Wald von Geschöpfen, die halb Knochen, halb Menschen darstellten. Die Vergänglichkeit ist in Rojas’ Werk allgegenwärtig. Er gestaltete für eine renommierte New Yorker Galerie auch einen nackt liegenden Menschen aus Zement, ein schlafendes Wesen von derart bedrohlichen Ausmassen, dass der Museumsbesucher ihn besser nicht weckt.
Nun konnte der Künstler mit den Museumsverantwortlichen in Bregenz eine Verwandlung des Hauses aushandeln. Nach der Verkleidung des Erdgeschosses sehen sich die Besucher auch im ersten Obergeschoss mit Aussergewöhnlichem konfrontiert: 3600 exotische Pflanzen hängen von der Decke, der Boden ist mit Marmor ver-kleidet, Ammoniten sind in den fein geschliffenen Betonplatten erkennbar. Die symbolisierte Vergänglichkeit im Lauf der erdgeschichtlichen Epochen.
Weiter oben hat Adrián Villar Rojas einen «Luster» installiert, eine Art Kronleuchter in Form eines Eisenkorbs, der von der Decke hängt. Hier flackern Kerzen bedrohlich, niemand soll sich behaglich fühlen.
Ein spektakuläres Mahnmal
Gleich dahinter hat der Künstler eine lange Leiste quer durch den ganzen Raum gezogen. Daraus lodern Flämmchen, die eine monumentale Reproduktion des Anti-Kriegsgemäldes «Guernica» von Pablo Picasso aus dem Jahr 1937 beleuchten. Die Botschaft ist klar: Der Argentinier hat ein spektakuläres Mahnmal gegen die Gewalt gesetzt.
Im dritten Stock schliesst sich der erzählerische Kreis Rojas’ mit einer Rampe, auf der die Beine der David-Skulptur von Michelangelo aus dem frühen 16. Jahrhundert leuchten – noch einmal ein Blick zurück in die Renaissance wie zu Beginn in der Eingangshalle.
Adrián Villar Rojas – The Theater of Disappearance
Sa, 13.5.–So, 27.8.
Kunsthaus Bregenz (AT)