Sie küssen, lieben und schlagen einander: Adèle (Adèle Exarchopoulos) und Emma (Léa Seydoux), die Gymnasiastin und die Kunststudentin, Protagonistinnen in «La vie d’Adèle – Chapitres 1 & 2», dem intensiven Liebesfilm des franko-tunesischen Regisseurs Abdellatif Kechiche. Intensiv nicht nur wegen des grossartigen Spiels der beiden, sondern auch darum, weil die Kamera förmlich an den Frauen klebt, vor allem an Adèle, sie verfolgt, bei allem, was sie macht. So besteht der Film zu einem Grossteil aus Close-ups von Adèles Gesicht. Kechiche entgeht keine ihrer Regungen.
Adèle, 17, unsicher und auf der Suche nach ihrer Identität, hat eben festgestellt, dass Männer nichts für sie sind, als ihr Emma über den Weg läuft. Emma ist eine Frau in den Zwanzigern, die mit ihren kurzen, blau gefärbten Haaren, mit Jeansweste und Stiefeln ein bisschen zu sehr wie eine Klischeelesbe aussieht. An einer Strassenkreuzung treffen sich ihre Blicke zum ersten Mal. In einer Bar reden sie dann miteinander, bald gibts den ersten Kuss.
Ein ungleiches Paar
Adèle blüht auf in dieser Beziehung. Zugleich unterwirft sie sich der erfahrenen Emma. Sie ist gebildet, weltgewandt und stammt aus der Oberschicht. Zu Besuch bei ihren Eltern schlürft man Austern, diskutiert philosophische Themen und küsst sich bei Tisch. Bei Adèle zu Hause gibt es nur Spaghetti Bolognese, ihre Eltern wissen nicht, worüber sie reden sollen, und glauben, Emma gebe der Tochter Nachhilfe in Philosophie, während die beiden im Kinderzimmer ganz andere Dinge treiben. Als Emmas Karriere als Malerin Schwung bekommt, wächst sie noch weiter über Adèle hinaus, aber Adèle, inzwischen reifer geworden, nimmt das nicht hin und erntet Schläge dafür.
Der epische und erotische Film hat im vergangenen Frühling in Cannes die Goldene Palme gewonnen, als erster Film über ein homosexuelles Paar. Und er hat für Kontroversen gesorgt. Man störte sich an den expliziten Sexszenen. Die seien unnötig lang, künstlich und klischiert. Und Julie Maroh, auf deren Graphic Novel das Drehbuch beruht, bezeichnete Kechiches Adaption als Fantasie eines heterosexuellen Mannes von lesbischer Liebe.
Tatsache ist: Eine derart intensiv gespielte und intime Liebesbeziehung hat es bisher im Kino kaum gegeben – leidenschaftlich, überwältigend, schmerzhaft und unvergesslich.
«La vie d’Adèle – Chapitres 1 & 2».
Regie: Abdellatif Kechiche
Ab Do, 2.1., im Kino