Sein Leben war kurz, intensiv, obsessiv. Robert Mapplethorpe (* 1946) prägte ab den 60er-Jahren die New Yorker Avantgarde als Fotograf und Maler. Von Ikonen wie Andy Warhol oder Paloma Picasso verehrt, erreichte der provokative Künstler schon zu Lebzeiten Kultstatus. 1989 starb er an Aids.
Mapplethorpes engste Weggefährtin bis zum Schluss war Patti Smith (* 1946), ihrerseits eine multipel kreative Kultfigur der US-Avantgarde. Den Abschied von ihrem Lebensfreund verarbeitete sie in Musik, mit Fotografien und Texten. «Als er starb, konnte ich nicht weinen, nur schreiben», ist in Smiths Prolog zu «The Coral Sea» zu lesen. Mit diesem Prosagedicht verabschiedete sie sich von Mapplethorpe, dem sie auf dem Sterbebett versprochen hatte, ihre Freundschaft aufzuschreiben. «Ein entsetzliches Versprechen. Es dauerte lange, bis ich unsere Geschichte aufschreiben konnte. Stattdessen schrieb ich ‹The Coral Sea›.»
Das war 1997. Ihr Versprechen löste Smith viel später ein: Das Erinnerungsbuch «Just Kids» erschien 2010. Literarisch ist «The Coral Sea» weit bedeutender, weil aus unmittelbarer Trauerarbeit entstanden. Erstaunlich, dass dieses Werk erst jetzt erstmals auf Deutsch erscheint – dem Zürcher Bilgerverlag sei Dank.
In einer bilderreichen, rhythmisierten Sprache erzählt Smith von M., der per Ozeandampfer unterwegs in die Südsee ist. Diese Reise steht für das «Sehnen nach Ferne und Wildheit» und «nach neuen Harmonien». Ein Drang, den Smith und Mapplethorpe im Leben als Künstler vereinte. «Er griff nach den Zeichen, formte sie und gab ihnen neue Gestalt.» Nicht nur die Zeichen ändern sich, auch M., dem die Reise zur finalen Metamorphose wird: «Er wollte nach Papua, sich einen legendären Schmetterling für seine Seele sichern.»
Wer Patti Smith bisher als hartgesottene Musikerin hörte, lernt sie mit diesem Text als feinsinnige Poetin kennen. Die Lektüre berührt und beglückt zugleich.
Patti Smith
«The Coral Sea – Das Korallenmeer»
100 Seiten
(Bilgerverlag 2014).